Im Zeichen des
Schwarzen Greifen
Der Ursprung einer dunklen Legende
Ich weiß nicht mehr, wann ich zum ersten Mal von dem Schwarzen Greifen hörte. Er war eigentlich schon immer eine bekannte Gestalt der Erzählungen. Die einen hassten ihn und die anderen liebten ihn und das hatte sicher jeweils seine guten Gründe. Der Schwarze Greif war bereits in meiner frühen Kindheit eine Legende und eine Sagengestalt. Ich erinnere mich allerdings noch ganz genau daran, wann mir zum ersten Mal bewusst wurde, dass der Schwarze Greif leibhaftig und nach wie vor existierte. Und natürlich erinnere ich mich daran, als ich ihm dann auch persönlich wirklich begegnete. Denn das war, zumindest im Nachhinein betrachtet, wohl zugleich der Beginn der schrecklichsten und schönsten Ereignisse in meinem Leben. Ich war ein Waisenkind, aber ich wuchs wohl behütet und gut versorgt bei den fahrenden Spielleuten von Kamarah auf. Meine Eltern sind ebenfalls Spielleute gewesen. Ich kann mich jedoch nicht mehr an sie erinnern, da sie kurz nach meiner Geburt bei einem Überfall auf den Wagenzug getötet wurden, wie man mir Jahre später erzählte. Sie wurden zu Opfern, weil ihr Wagen als letzter des Zuges ein paar Dutzend Meter auf der Straße zurückgeblieben war. Es waren primitive Strauchdiebe, die vermutlich selbst zu verhungern drohten und deshalb ihrem gewaltsamen und bei Gelegenheit eben auch mörderischen Handwerk nachgingen. Ich weiß bis heute nicht, ob der Mord an meinen Eltern eher ein tragischer Unfall war, vielleicht weil sie Gegenwehr leisteten oder die Räuber die Verfolgung fürchteten, oder ob die drei Täter aus reiner sadistischer Mordlust oder einfach aus Gewohnheit so vorgingen. Vielleicht waren sie auch verärgert, als sie feststellten, dass bei meinen Eltern keine große Beute zu machen war. Ich selbst muss als kleines Kind so ruhig geschlafen haben, dass die Räuber mich in meinem Körbchen nicht entdeckten, oder aber sie sahen keinen Grund dafür und verspürten keine Lust danach, einen völlig wehrlosen und ungefährlichen Säugling zu töten. Jedenfalls wurden die unglücklichen Mörder bereits kurz darauf von den anderen Spielleuten in einem nahe gelegenen Waldstück aufgegriffen und an Ort und Stelle mit den Schwertern des Schwertschluckers, dem Feuer des Feuerspuckers und den Messern des Messerwerfers sehr langsam und äußerst qualvoll zu Tode gefoltert. Ich jedoch war nun ein Waise und wurde mal von der einen und mal von der anderen Frau gehütet und versorgt und mal von diesem und mal von jenem der Männer in den verschiedenen Künsten der Spielleute unterwiesen, je nachdem, wer gerade Zeit hatte und Muße dazu verspürte. Denn die fahrenden Spielleute von Kamarah waren ein wankelmütiges Völkchen und oftmals wechselte die Besetzung der Truppe sich in Teilen ab, sodass ich niemals langfristige Pflegeeltern mein Eigen nennen konnte und niemals festere oder vertrautere familiäre Bindungen kennen lernte. Zwar trauerte ich manchmal um den Tod meiner Eltern und erlebte eine gewisse Einsamkeit, andererseits fühlte ich mich frei und verstand es als Vorteil, weniger beaufsichtigt oder gebunden zu sein als viele andere Kinder. Somit hatte ich auch keinen ähnlichen Verlust mehr zu befürchten, den ich in späteren Jahren bewusst und sicher umso schmerzlicher erlebt hätte. Als ich vierzehn Jahre alt war, hatte ich vor allem gelernt, verschiedene kleine Nebenrollen in den Theaterstücken und ähnlichen Darbietungen zu übernehmen, welche die Truppe manchmal als Tragödien, Komödien und Historienstücke aufführte oder als kleinere theatralische oder belustigende Einlagen in die Zirkusvorstellung einbaute. Denn die Spielleute von Kamarah waren zugleich Zirkus- und Theatertruppe und verbanden diese Künste oftmals in ihren beliebten Vorstellungen. Für die artistischen Nummern schien ich weniger geeignet, dafür konnte ich etwas spielen und recht passabel singen. Außerdem musste ich freilich bei vielen der Arbeiten mithelfen, die den alltäglichen Betrieb auf der Reise und an den Spielorten der Truppe ausmachten. Zu dieser Zeit kamen wir in die Provinzhauptstadt Palmon. Und hier sollte es der Schwarze Greif sein, der uns auf unvorstellbare Weise die Aufmerksamkeit des Publikums streitig machte. Wir traten in einem für unsere Verhältnisse recht großen und prachtvollen Saal des städtischen Palastes auf, in welchem uns der örtliche Stadthalter des Großreichs Astralorn und einige Hundert der adligen Stadt- und Provinzoberen sowie die reiche Bürgerschaft die Aufwartung machten. Wir hatten zuvor Gelegenheit erhalten, unter strenger Aufsicht der Wachleute unseren gewohnten Bühnenaufbau zu betreiben und den Saal unseren Bedürfnissen entsprechend einzurichten, sodass die Sitzplätze des Publikums in einem fast geschlossenen Kreis um die Manege und Bühne herum angeordnet waren, von der ersten Reihe zum äußersten Rand der Zuschauerplätze hin aufsteigend, ganz so wie man es aus unserem großen Zirkuszelt oder auch in den Amphietheatern anderer Spielorte kannte. Der fettleibige Stadthalter von Palmon und einige seiner adligen Getreuen saßen von ihren Wachmännern umgeben an hervorgehobener Stelle in einer besonderen Loge, um ihrer gehobenen Stellung gegenüber der übrigen illustren Gesellschaft Ausdruck zu verleihen und damit sie die Vorstellung aus bester Sicht verfolgen konnten. Unsere Aufführung kam sehr gut an. Wir führten eine fröhliche Mischung aus kurzen lustigen Stücken und gewagten artistischen Darbietungen auf, die sich bei einem solchen Publikum bewährt hatte. Clowns, Narren und andere Spaßmacher, Schwertschlucker und Feuerspucker, Seiltanz, Akrobatik, fantastische Sprungartistik und halsbrecherische Trapezkunst hoch über der Bühne unter der Saaldecke, Schlangenbeschwörung und Bauchtanz mit einer exotischen Königskobra und Kunstreiten auf fünf geschmückten edlen Pferden waren ebenso dabei wie die in diesen nordischen Breiten besonders seltene und Aufsehen erregende Darbietung des Tierbändigers mit unserem großen weißen Wüstenlöwen. Direktor Vagerant führte routiniert durch die Vorstellung und die Zuschauer staunten, jubelten und applaudierten immer wieder begeistert. Dann stand nach zweistündiger Vorführung lediglich noch die letzte Nummer als spannender Höhepunkt vor der großen Abschlussparade aus: Smeck, der Messerwerfer, warf seine blitzenden, scharfen Klingen, teils in waghalsigen Verrenkungen und schließlich mit verbundenen Augen, auf eine sich geschwind drehende Holzscheibe, an der die hübsche junge Elanor mit ausgestreckten Armen und Beinen und vorgestreckten prallen Brüsten in ihrem knappen und engen Kostüm befestigt hing. Smeck pfefferte nach einem Trommelwirbel gerade ein paar große und lange Messer unter lautem gespannten und verzückten Aufstöhnen der Zuschauer ganz knapp neben Elanors Kopf und Gliedmaßen ins Holz, – als urplötzlich die ganze Beleuchtung in Saal erlosch! Es war später Abend, sodass kein Sonnenlicht durch die Fenster eingedrungen wäre, selbst wenn wir deren Vorhänge nicht zuvor zum Zweck der Vorstellung geschlossen und alles zusätzlich mit dunklen Tüchern abgedeckt hätten. Und alle Lampen, Kerzen, Fackeln und anderen Lichter im Saal waren plötzlich wie von Geisterhand ausgelöscht. Laute Rufe des Erschreckens ertönten im Publikum und das Getrampel der Füße von einigen aufspringenden Zuschauern erklang in der Dunkelheit. Allerdings konnte man in dem überraschenden Vorkommnis durchaus auch einen originellen Teil der Vorstellung vermuten, sodass es vorerst noch nicht zu panischen Reaktionen kam, sondern insgesamt eher zu einem gespannten Abwarten, soweit ich dies in der Finsternis wahrnehmen konnte. Als einige unserer Artisten jedoch Fackeln entzündeten und der Direktor im Halbdunkel klargestellte, dass es sich nicht um einen schaurigen Effekt des Schauspiels handelte, wurde es zunehmend weiter unruhig. Die Wachleute versuchten ungeschickt, wieder Öllampen und weitere Wachsfackeln zu entzünden, als nach wenigen Minuten plötzlich wieder mehrere große Lichter angingen und den Saal erhellten, die insbesondere auf eine Stelle in der Mitte der Saaldecke gerichtet waren. Damit wurde der wirkliche Charakter des Geschehens offenbart. In dem Lichtkegel hing der fette Stadthalter von Palmon mit aufgeschlitzter Kehle und grausig aufgerissener Brust kopfüber mit ausgestreckten Armen und Beinen an Seilen und Ketten, die aus unserer Ausrüstung stammen mochten, genau in der Mitte unter der Saaldecke über unserem Bühnenkreis. Aus den tiefen Wunden hingen grauenhaft zerfetzte Gedärme und zersplitterte Knochen. Das Blut spritzte in alle Richtungen und benetzte viele der Spielleute und Zuschauer! Jetzt brachen wildes Geschrei und wütende Panik aus. Die schockierten Menschen liefen durcheinander und schrien verzweifelt um Hilfe. Die Wachleute zogen ihre Schwerter und erhoben ihre Lanzen, um irgendwie die unbekannte Ursache dieses grauenhaften Vorgangs ausfindig zu machen und zu bekämpfen oder auch nur, um sich im Zweifel selbst gegen die hereingebrochene böse Macht und die panische Masse zu verteidigen. Viele drängten sich an den Ausgängen, um zu fliehen, doch die Tore waren offenbar von außen verschlossen und fest verriegelt worden, sodass die Gefangenen jetzt laut dagegen trommelten und im verzweifelten Anrennen übereinander stolperten und sich gegenseitig nieder trampelten. Es dauerte ziemlich lange, bis jemand die Tore des Saales von außen wieder entriegelte und die panische Menge endlich aus diesem brodelnden Hexenkessel ins Freie entkam. Die Führung der Wachsoldaten hatte keinerlei Anhaltspunkt, wer diese Schreckenstat vollbracht haben mochte. Die Wachmänner wirkten im Eifer des Gefechts völlig orientierungslos und stellten lediglich sicher, dass wir Spielleute nicht fliehen würden. Dies lag uns ohnehin fern, da wir zum einen nicht für die Tat verantwortlich waren und zum anderen nicht hoffen konnten, uns im Falle von Flucht und Verfolgung lange den Soldaten des Reiches entziehen zu können. Den oder die Täter unter den Spielleuten zu vermuten, lag zunächst natürlich nahe und wir mussten selbst ohne erwiesene Schuld befürchten, als Sündenböcke vorgeführt und hingerichtet zu werden. Nach einigen Tagen der lästigen Untersuchungen und unliebsamen Befragungen war unsere Erleichterung dann unvorstellbar groß, als wir alle praktisch ungeschoren davon kamen und unserer Wege ziehen durften. Der Verdacht gegen uns konnte offenbar nicht bestätigt, sondern weitgehend ausgeräumt werden und die zuständigen Hauptleute und Vertreter des Reiches waren zu unserem Glück entweder nicht so korrupt und skrupellos oder sie versprachen sich einfach keinen wesentlichen Vorteil davon, uns ungerechter Weise anzuklagen und abzuschlachten. Bei der Untersuchung des Leichnams des gewichtigen Statthalters von Palmon jedenfalls wurde neben den anderen grausigen blutigen Wunden auf seiner feisten breiten Stirn ein kleines, aber gut erkennbares, fein gezeichnetes umgedrehtes Pentagramm entdeckt, das mit dünnen tiefen Schnitten eingeritzt worden war. Der umgekehrte Drudenfuß, der nach unten gerichtete fünfzackige Stern der schwarzen Magie: Das seit langem überall bekannte und gefürchtete Zeichen des Schwarzen Greifen!
* * *
Seit diesem Tag in Palmon also wusste ich, dass die Legenden vom Schwarzen Greifen weitgehend der Wirklichkeit entsprachen, denn die Entdeckung seines finsteren Symbols konnte, wie schon in so vielen Fällen zuvor, von den Wachleuten nicht sehr lange geheimgehalten werden. Und die Erzählungen und Spekulationen nahmen nicht nur unter den Spielleuten und den anderen, die unmittelbar bei einem seiner mysteriösen Anschläge dabei gewesen waren, freilich kein Ende mehr. Je nach Auslegung sprach man überall im Königreich von Astralorn und seinen Provinzen von dem gefürchteten Meistermörder oder einem unsichtbaren Dämon und erzählte sich allerlei wild ausgeschmückte Schauergeschichten über den schrecklichen Unbekannten. Direktor Vagerant und einige seiner Spielleute erwogen sogar, das Herzstück unserer Aufführung in Anlehnung an den Schwarzen Greifen und seine berühmt-berüchtigten Taten zu gestalten. Da seine zahlreichen Opfer, – man sprach ihm zu jener Zeit den Mord an etwa zwei Dutzend hochrangigen Personen zu – , jedoch immer mächtige Vertreter des Reiches oder hoch angesehene reiche Verbündete des Königshauses waren, trug man diese Idee schnell wieder zu Grabe, um nicht Gefahr zu laufen, doch noch wegen des Vorfalls in Palmon oder schlicht und einfach wegen Hochverrats belangt zu werden. Die Spielleute von Kamarah wollten nicht, wie so viele Unglückliche und zumeist wohl Unschuldige zuvor, auf den Scheiterhaufen oder an den Richtkreuzen des Großreiches qualvoll enden, mit welchen die Königin und ihre schwarzen Wächtergarden jeden Anschein von Widerstand im Keim zu ersticken pflegten. Nur vereinzelte Narren und Puppenspieler riskierten gelegentlich, sich dieses Themas vor geeignetem Publikum anzunehmen, also insbesondere vor der bitterarmen und geschundenen Bevölkerung, die in den Taten des Schwarzen Greifen nicht nur makabere Abenteuergeschichten sah, sondern die in ihm geradezu einen Freiheitskämpfer vermutete, der gegen die durch und durch korrupte und verkommene Herrscherkaste des Hochadels und des Königshauses Widerstand leistete. Allerdings hatte es niemals ein derartiges Bekenntnis oder andere Hinweise auf die Hintergründe seiner spektakulären Meuchelmorde gegeben. Im Volk konnte man sich insgeheim jedoch schon daran erfreuen, wenn den verhassten Machthabern, die ihre Untertaten grausam unterdrückten und ausbeuteten, einmal ihr ansonsten grenzenloser Hochmut und ihre scheinbar angeborene Unantastbarkeit gehörig angekratzt wurden. Deshalb stilisierten manche den geheimnisvollen Mörder zum gerechten und edlen Freiheitskämpfer hoch, um damit zugleich dem allgemeinen Unmut gegen die selbstherrlichen Oberen auf hintersinnige und spöttische Weise Ausdruck zu verleihen. Ich will euch, geneigte Leser, jedoch nicht mehr länger auf die Folter spannen, sondern gleich von meiner ersten persönlichen Begegnung mit dem Schwarzen Greifen erzählen. Diese fand wenige Jahre nach dem blutigen Ereignis in Palmon statt und etwas anderes Aufsehen erregendes oder berichtenswertes habe ich in der Zwischenzeit auch kaum erlebt, lediglich einige neue Nebenrollen in den Tragödien und Komödien der Truppe. Es war eines Abends in einem verschlafenen kleinen Wirtshaus an der Kreuzung wenig befahrener verstaubter Landstraßen neben dem wir unser Lager aufgeschlagen hatten und in dem ich mit einigen der Spielleute bei Bier und Kartenspiel zusammen saß. Gerade als die Dunkelheit angebrochen war, betrat ein Fremder in schwarzem Umhang die Gaststube. Er begab sich erst an die Bar und trank dort wohl etwas, doch er war mir sofort aufgefallen, denn inzwischen war ich mit der Truppe weit herum gekommen und hatte ein gewissen Gespür dafür entwickelt, wenn mir ein ungewöhnlicher Zeitgenosse begegnete. Nach kurzer Zeit kam der Mann an unseren Tisch und sprach die Runde an. „Seid gegrüßt!“, sagte er. „Habe ich die Ehre mit den fahrenden Spielleuten von Kamarah?“ Er fragte in freundlichem Ton, der keinen Dialekt erkennen ließ, sondern wie die Sprechweise des Hochadels klang, die wir für entsprechende Theaterrollen ebenfalls erlernt hatten, die im einfachen Volk sonst aber selten anzutreffen war. Er hatte fein gezeichnete attraktive Gesichtszüge, die zugleich adlerhaft kräftig und sympathisch einnehmend wirkten. „So ist es, werter Herr!“, sagte Pandalan, der Schauspieler, in etwas ironischem Tonfall, denn die Spielleute sind in ihrer Freizeit lieber unter sich, verhalten sich gegenüber Fremden ironisch distanziert und machen sich gerne über diese lustig. „Mit wem haben die berühmten Spielleute die Ehre?“ „Ich bin Ozdamontraz, der Zauberer, und suche eine Anstellung“, antwortete der Mann unbekümmert. „Du willst der große Ozdamontraz sein?“, fragte Bronn, der Schwertschlucker, ungläubig. „Der Herr vom Schloss der goldenen Sonne? Ich denke, der residiert seit Jahren am Hofe von Astralorn und gibt nur der Königin und dem Hochadel seine legendären Vorstellungen!“ „So war es auch“, antwortete der Zauberer, „bis vor Kurzem. Ich fürchte nur, mir sind in letzter Zeit bei Hofe die originellen Zaubertricks ein wenig ausgegangen. Ich habe mich auf Reisen begeben, um etwas Abstand zu gewinnen und auf neue Ideen für meine Vorstellung zu kommen. Dafür wäre die Wanderschaft mit eurer Truppe vielleicht nicht das Schlechteste.“ „Für unser erlesenes Publikum“, meinte Pandalan, „dürften deine Fähigkeiten gerade eben noch ausreichen.“ „Jedenfalls wenn die Berichte über deine viel gepriesenen Kunstfertigkeiten auch nur im Entferntesten der Wahrheit entsprechen“, fügte Bronn misstrauisch hinzu. „Wir gastieren fast nur noch in kleinen Provinznestern“, erklärte der alte Clown Potts resigniert, „und leben mehr schlecht als recht von der Hand in den Mund. Zum leben zu wenig und zum sterben zu viel. In diesen Zeiten schätzt man unsere Formen der Kunst gering. Die Leute können sich den Eintritt kaum leisten oder haben sich mit ganz anderen Dingen herumzuschlagen, sodass ihnen selten der Sinn nach leichter Unterhaltung steht.“ „Da käme deine Unterstützung gerade recht“, sagte Bronn zu dem Zauberer. „Aber zahlen kann dir Direktor Vagerant nicht viel.“ „An diesen sollte ich mich wohl wenden“, sagte Ozdamontraz. „Wenn ich mich recht erinnere, dann hat er vor ein paar Jahren sogar einmal meiner Vorstellung beigewohnt und wir haben uns hinterher freundlich unterhalten. Ich hoffe, er ist mir noch wohlgesinnt.“ „Tatros“, wandte sich Pandalan an mich. „Willst du unserem großen Zauberer nicht zeigen, wo er Vagerant findet?“ „Nur zu gerne“, antwortete ich, legte die Spielkarten beiseite, ließ meinen halb vollen Bierkrug stehen und erhob mich. „Wir hatten lange Jahre keinen Zauberer in der Truppe“, bemerkte der Schauspieler belustigt und klopfte mir auf die Schulter. „Vielleicht kannst du von diesem hier etwas lernen, Junge, und wir erblicken bald ungeahnte Fähigkeiten in dir!“ Also brach ich mit Ozdamontraz auf, um ihn hinüber zu unserem Lager zu führen. Er wollte jedoch noch sein Pferd holen, das vor dem Gasthaus stand, und ich wunderte mich etwas, dass ein berühmter Zauberkünstler lediglich mit einem Rappen mit zwei Satteltaschen reiste und keinen Wagen mit einer umfangreicheren Ausrüstung bei sich führte. Bald waren wir ohne viele weitere Worte beim Wagen des Direktors angelangt. „Vielen Dank“, sagte der Zauberer, klopfte an die Wagentür und wurde sogleich von Vagerant eingelassen. Als der Direktor seinen Gast erkannte und sein Anliegen erfuhr, war er sogleich begeistert und wies mich an, das Pferd unseres neuen Zauberers zu versorgen. Ich brachte den mächtigen schwarzen Hengst in seine Unterkunft zu unseren Pferden und nahm ihm den Sattel und die Satteltaschen ab. Dabei konnte ich der Neugier nicht ganz widerstehen und wollte einen kurzen Blick in das Gepäck werfen, doch die Ledertaschen waren fest verschlossen. Ich brauchte jedoch gar nicht mehr lange warten, bis ich einige Geheimnisse des Fremden erfuhr, die ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt hätte. Wir waren wieder unterwegs und hatten inzwischen schon einige Vorstellungen mit Ozdamontraz in der Tat unglaublichen Zauberkünsten aufgewertet. Ich wurde tatsächlich sein Assistent und half ihm bei der technischen Vorbereitung einiger Kunststücke und beim Bau ungewöhnlicher Gerätschaften, die er dazu verwendete. Obwohl ich damit eigentlich die besten Voraussetzungen hätte haben müssen, gelang es mir dennoch niemals, einen seiner Zaubertricks vollständig zu durchschauen. Lediglich wenn er mir den einen oder anderen leichteren und weniger Aufsehen erregenden Trick erklärte, konnte ich diesen verstehen und selbst nachzuahmen versuchen. „Meistens steckt eine ganz einfache Idee hinter einem überaus faszinierenden und scheinbar unerklärlichen Zauberkunststück“, erklärte mir Ozdamontraz. „Du musst nur die Aufmerksamkeit der Zuschauer gezielt zu lenken verstehen. Das entscheidende ist die Illusion, die du beim Publikum erzeugst und die schließlich die Überraschung und Verzauberung bewirkt.“ Zumeist war es mir selbst bei Kenntnis des Hintergrundes und etwa eines bestimmten technischen Mechanismus völlig unmöglich, den Zaubertrick auch nur ansatzweise richtig auszuführen und die magische Illusion zu erzeugen, die meilenweit über die bloße Ablenkung durch eine leicht bekleidete posierende Assistentin hinausging und die das Gelingen eines Kunststücks auf der Bühne im Wesentlichen ausmachte. Dennoch empfand ich mich nicht nur als beliebigen Gehilfen, sondern als Auserwählten und besonderen Lehrling des Zauberers. Ich wusste, dass es sehr lange dauern würde, auch nur im Ansatz eine solche Kunstfertigkeit zu erreichen, wie sie Ozdamontraz zueigen war. Dazu musste man erst einmal sehr lange scheinbar ohne jeglichen Fortschritt üben, bis sich irgendwann vielleicht ein erster kleiner Erfolg einstellte. Ich hoffte deshalb, dass der Zauberer noch möglichst lange bei uns blieb und ich somit Gelegenheit hatte, mehr von ihm zu lernen. Ein Geheimnis von ganz anderer Art, dass weit über jeden Mechanismus eines Zaubertricks hinausging, sollte ich jedoch schon bald in einer klaren Vollmondnacht erfahren. Ich konnte, wie oftmals in solchen hellen Nächten, nicht gut schlafen und stand irgendwann auf, um draußen etwas herumzulaufen. Da bemerkte ich am Rande meines Blickfelds plötzlich eine dunkle Gestalt, die zwischen unseren Wagen hindurch huschte. Ich dachte erst, dass es sich um eine wilde Katze oder einen streunenden Hund oder vielleicht sogar um einen Wolf handeln mochte, aber als ich genauer hinschaute, erkannte ich die Umrisse eines Menschen. War das vielleicht ein Dieb, der sich des Nachts in unser Lager geschlichen hatte, um uns zu bestehlen? Ich folgte der Gestalt, die mich wohl nicht gesehen hatte, vorsichtig. Sie begab sich aus dem Lager hinaus und schnellen Schrittes in ein nahe gelegenes Waldstück. Ihr Gang wirkte dabei seltsam und unmenschlich, zugleich sehr geschmeidig und wie in Trance, sodass er mich erneut an ein Raubtier erinnerte. Nah einiger Zeit blieb die Gestalt auf einer Lichtung stehen und hob den Kopf, sodass ich ihr Gesicht im Mondlicht endlich genauer sehen konnte: Es war Ozdamontraz, der mit starren, glasigen Augen in die Nacht blickte! Ich versteckte mich hinter einem Baumstamm, denn ich glaubte nicht, dass der Zauberer meine Anwesenheit begrüßt hätte, und wollte nicht, dass er mich entdeckte. Von ihm ging eine seltsame dunkle Energie aus, die ganz anders als die Theatralik und Illusionskraft war, die er bei der Zaubervorstellung auf der Bühne ausstrahlte. Gewissermaßen ging diese dunkle Kraft von ihm aus, aber sie schien zugleich aus der Dunkelheit des Waldes und aus der schwarzen Unendlichkeit des Weltalls jenseits des silbernen Mondes in ihn hinein zu fließen und durch ihn hindurch zu strömen, sodass ihre unheimliche Wirkung auch mich erreichte und durch Mark und Bein erzittern ließ. Bald hörte ich lautes Flügelschlagen und eine andere Gestalt näherte sich, schwebte aus dem dunklen Himmel und durch die Bäume auf die Lichtung zu. Ich beobachtete, wie das geflügelte Wesen sich niederließ und langsam auf Ozdamontraz zukam, bis es dicht vor ihm stand. Der Zauberer blickte in das wilde Antlitz eines monströsen Raubvogels, das in seiner seltsamen Form zugleich etwas von einer Schlange und einem Drachen an sich hatte. Der Körper dieses Unwesens war jedoch der eines gewaltigen schwarzen Löwen mit einem langen dünnen Schwanz, während sich die weiten dunklen Adlerschwingen vom Körper abhoben und sich am Ende der vier mächtigen Beine jeweils vier scharfe Adlerkrallen in den Waldbogen gruben. Die glatte, geschmeidige Haut des Monstrums war von einem glänzenden Schwarz, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte und das auf unheimliche Weise viel dunkler erschien als die finsterste Mitternacht. Als der Schwarze Greif den Zauberer anfauchte und dabei aus seinem großen krummen Adlerschnabel eine lange gespaltene Schlangenzunge hervor schnellte, war mir als träfe mich ein dumpfer Schlag am Kopf und ich fiel in Ohnmacht. Am nächsten Morgen erwachte ich in meinem Bett in unserem Wagen, den ich seit einiger Zeit mit Ozdamontraz teilte, und wusste nicht, ob ich geträumt hatte oder in der letzten Nacht wirklich das geschehen war, woran ich mich dunkel zu erinnern glaubte. Der Zauberer, der immer als erster wach war und überhaupt kaum Schlaf zu brauchen schien, schaute kurz darauf gut gelaunt zur Wagentür hinein. Er hatte bereits etwas erledigt und mahnte mich, endlich aufzustehen und meine Pflicht zu tun. Was meine vermeintliche nächtliche Beobachtung betraf, so ließ er sich nicht das Geringste anmerken und ich hätte ihn niemals danach zu fragen gewagt. An diesem Tag jedoch gelang mir zum ersten Mal ein richtiger Zaubertrick, der bekannte Klassiker „Die verzauberte Taube“, bei dem der Vogel erst hinweg und dann wieder herbei gezaubert wird. Ozdamontraz beglückwünschte mich erfreut und sagte, ich könne damit schon bald auf der Bühne auftreten.
* * *
Einige Zeit später hatte ich ein kleines Bühnenprogramm ausgearbeitet und einigen der anderen Spielleute vorgeführt. Direktor Vagerant war zufrieden und versprach mir, es bei Gelegenheit in ein zukünftiges Programm einzubauen. Ich wusste allerdings, dass ich niemals mit der Darbietung von Ozdamontraz konkurrieren konnte und solange er dem Trupp zur Verfügung stand, würde ich mit meinen Zaubertricks nicht wirklich zum Zuge kommen. Da wir bald nach Drossel, in die Hauptstadt von Astralorn, kommen würden, spekulierten jedoch viele, dass der große Zauberer uns dann verlassen könnte, um wieder das luxuriöse Leben bei Hofe zu genießen. Immerhin war er über ein halbes Jahr lang mit uns herumgezogen und hatte vermutlich genug Zeit gehabt, sich von den andersartigen Belastungen der Hofgesellschaft zu erholen und einige neue Kunststücke für das anspruchsvollste Publikum zu entwickeln. Er weihte mich jedoch nicht in seine möglichen Pläne diesbezüglich ein und vermutlich auch keinen anderen. Wir bauten unser Lager und unser großes Zirkuszelt auf einer freien Wiese vor der Hauptstadt auf, um dort die Bevölkerung von Drossel und aus den umliegenden Dörfern Abend für Abend anzuziehen und zu unterhalten. Allein Ozdamontraz war es vorbehalten, im Palast von Astralorn vor der Königin und dem Hochadel seine erlesenen Künste darzubieten. Dafür verschaffte er Direktor Vagerant und drei weiteren Spielleuten durch einen Mittelsmann Einladungen zu seiner Vorstellung, sodass der Direktor in Begleitung der hübschen jungen Elanor, des Schauspielers Pandalan und meiner Wenigkeit diesem Ereignis beiwohnen durfte. Wir trugen unsere besten Gewänder und Ozdamontraz hatte uns angewiesen, wie wir uns möglichst würdevoll und zugleich unauffällig unter den Oberen des Großreiches zu bewegen hatten. Mich wunderte etwas, dass der Zauberer uns nicht einfach als seine Gehilfen mitnahm, aber offenbar wollte er vor den Höflingen möglichst keine Verbindung zu uns erkennen lassen. Zunächst dachte ich, dass er damit einen Ansehensverlust vor der Hofgesellschaft durch seine unwürdige Bekanntschaft mit uns vermeiden wollte, doch angesichts des weiteren Verlaufs der Dinge mochten seine wahren Gründe etwas anders ausgesehen haben. Der Mittelsmann, ein alter Hofdiener im edlen schwarzen Frack, hatte uns die in Gold gewirkten Einladungskarten zukommen lassen und führte uns im Palast zu unseren Plätzen ganz hinten in einer dunklen Ecke des großen prachtvollen Saales. Einige hundert Angehörige des Hochadels bildeten den Großteil des weiteren Publikums. Bevor die Vorstellung begann, betrat die bildschöne und prunkvoll gekleidete Königin Silviana den Saal, flankiert von zwanzig dunklen Rittern ihrer Furcht erregenden königlichen schwarzen Wächtergarden. Früher einmal soll die Königin beim Volke überaus beliebt gewesen sein, doch vor einiger Zeit hatte sie einen vermeintlichen Aufstand grausam niederschlagen lassen und hunderte von angeblichen Verrätern und Rebellen öffentlich auf dem Marktplatz zu Tode foltern lassen. Im Zuge dessen hatte sie auch ihre drei jungen Adoptivsöhne, die Kinder des bei einem feindlichen Anschlag umgekommenen früheren Königspaares und somit die eigentlichen rechtmäßigen Thronerben von Astralorn, aus dem Palast und aus dem Reich verbannt. Manche befürchteten, dass sie noch schlimmeres mit ihnen angestellt hatte, denn seitdem hatte man die Jungen nicht mehr gesehen und nichts mehr von ihnen gehört. Nun wurden zwar durchaus erfolgreiche Kriegszüge in aller Welt geführt und das Reich um immer mehr Provinzen erweitert, die einfache Bevölkerung litt jedoch unter bitterer Armut und grausamer Ausbeutung durch den Hochadel. Der Macht der Königin, die selbst eine Zauberin und unter äußerst zwielichtigen Umständen auf den Thron gelangt sein sollte, und ihren unbezwingbaren schwarzen Wächtergarden konnte allerdings niemand etwas entgegensetzen und somit lebte das Volk insbesondere in Drossel und Umgebung in ständiger Angst und litt unter der brutalen Unterdrückung. Nachdem es bei Silvianas eindrucksvollem Erscheinen im ganzen Saal sofort mucksmäuschenstill geworden war und die Königin in ihrer Loge Platz genommen hatte, begann sogleich die Vorstellung des Zauberers. Dabei schien über ein ehrfürchtiges Schweigen hinaus eine geradezu eisige und unheilsschwangere Atmosphäre zu herrschen. Diese konnte ich mir kaum mit der Anwesenheit der Königin und der Vorstellung des Ozdamontraz allein erklären. Jeder außer uns Spielleuten schien zu ahnen, dass es etwas ganz besonderes und unheimliches mit dieser Veranstaltung auf sich hatte. Der Einzige, der von dieser Stimmung völlig unberührt zu sein schien, war eben unser Zauberer Ozdamontraz auf der Bühne. Zunächst führte er routiniert einige der Zaubertricks und Illusionen vor, die mir inzwischen wohl bekannt waren. Sein elegantes Auftreten, seine humorvollen Ansagen und seine charismatische Mimik und Gestik unterschieden sich nicht wesentlich von allen anderen Auftritten, die ich von ihm in den letzten Monaten gesehen hatte, außer dass er sich in der Wortwahl und den Formulierungen wohl etwas an die gestelzten Redeweisen und Erwartungen des Hochadels anpasste und wie mir schien, sogar ironisch damit spielte und sich subtil über sein ausersehenes Publikum lustig machte. Von einer besonderen Anspannung oder Angst angesichts der unheimlichen Stimmung war jedoch nicht das Geringste bei ihm zu erkennen, obwohl die gewohnten Jubelrufe ganz ausblieben und der Applaus zwischen den einzelnen Nummern zwar recht laut war, aber gleichförmig und wie automatisch ausgeführt wirkte, ohne wirkliche gefühlte Begeisterung und die übliche Symphatie der Zuschauer. In jedem Fall konnte ich beim Anblick und beim eitlen Gehabe der zum Teil eiskalt und versteinert und zum Teil geradezu gehässig und offen feindselig dreinblickenden Höflinge nur zu gut verstehen, warum Ozdamontraz damals den Hof zu Drossel verlassen hatte. Doch hinter der Sache musste noch mehr stecken und diese Vermutung sollte sich bald bestätigen. Nach ungefähr einer halben Stunde kündigte Ozdamontraz einen Höhepunkt seiner Vorstellung an, ein faszinierendes Kunststück, das vielleicht niemand außer ihm auszuführen imstande war und das jedenfalls niemand in solcher Weise präsentieren konnte. Es war eines jener Stücke, bei denen wohl niemand außer dem Zauberer selbst wusste, ob es sich um einen genialen Trick oder aber um wirkliche Magie handelte. „Allerhöchste und überaus mächtige Königin“, sagte Ozdamontraz mit ausladenden Armbewegungen und einer langen, tiefen Verbeugung. „Und machtvolle Hochwohlgeborene. Werdet nun Zeugen einer Zauberei, mit deren Macht ich beliebig über Raum und Zeit gebiete!“ Der Zauberer ging mit dynamischen Schritten an den vorderen Bühnenrand und führte mit seinen Händen beschwörende Bewegungen aus. Bald erschien ein leuchtender Feuerball zwischen seinen Händen. Er ließ den Ball, der in wechselnden hellen Farben loderte, eine Weile über seinen Handflächen schweben und präsentierte ihn in alle Richtungen dem Publikum. Trotzt der unterkühlten Atmosphäre, konnte die Hofgesellschaft ein gewisses Erstaunen angesichts dieser zauberischen Erscheinung nicht ganz verbergen. Nun schritt Ozdamontraz an den einen Seitenrand der Bühne, richtete dabei aber seine Hände weiterhin auf die leuchtende Kugel, die in der Mitte der Bühne langsam weiter in die Höhe schwebte. Ozdamontraz lüftete seinen dunkelblauen spitzen Zaubererhut und auch dieser schwebte ein Stück über der Handfläche empor. Dann war der Hut plötzlich von seinem bisherigen Ort verschwunden und tauchte in der Bühnenmitte wieder auf. Er schwebte eine Zeit lang in der Luft um den glitzernden Feuerball herum, der Hut und die Kugel umkreisten sich gegenseitig, bevor der Hut plötzlich wieder auf dem Kopf seines Besitzers erschien, der die Arme ausbreitete und lächelte. Rhythmischer Applaus ertönte. „Heute hier, morgen da! Der Feuerzauber macht es wahr!“, rief Ozdamontraz mit beschwörender, lauter Stimme und für den Bruchteil einer Sekunde leuchtete der Feuerball so gleißend hell auf, dass alle Zuschauer kurz geblendet wurden. Schon im nächsten Augenblick gab es wieder klare Sicht und der Feuerball schwebte wie gehabt in der Mitte. Ozdamontraz aber stand jetzt ganz am anderen Ende der Bühne und verbeugte sich dort geheimnisvoll lächelnd. Er war also von der einen Seite urplötzlich auf die andere Seite versetzt worden oder aber hatte die Strecke von etwa zwanzig Metern im Bruchteil einer Sekunde zurückgelegt. Der Zauberer machte eine rasche Handbewegung und der schwebende Feuerball erlosch zu Nichts. Erneutes Erstaunen und deutlich stärkerer Applaus des Publikums. Der Beifall verstummte jedoch abrupt, als plötzlich von allen Seiten schwarze Wächtergardisten auf die Bühne traten und den Zauberer einkreisten. Das Bühnenlicht änderte sich, als die dunklen Ritter ihre großen schwarzen Schilde erhoben. Unter den dunklen Helmen waren in den Schatten unheimliche bleiche Gesichter zu erkennen, aus denen bösartige rote Augen den Zauberer wie glühende Kohlen aus den Untiefen der Flammenhölle anfunkelten. Ich hatte niemals zuvor eine solche dunkle und bösartige Energie verspürt und mir war klar, das dies keine gewöhnlichen menschlichen Wesen sein konnten. „Mein großer Zauberer!“, erklang jetzt die laute Stimme von Königin Silviana höhnisch und eiskalt durch den Saal. Sie hatte sich in ihrer Loge erhoben und deutete mit bösem Blick und zur Kralle geformten Hand auf Ozdamontraz. „Du hast uns durchaus gut unterhalten und amüsiert. In der Ferne hast du offenbar noch etwas dazugelernt. Aber jetzt kommt die Stunde der Wahrheit! Du hättest wohl besser daran getan, mein Reich nie mehr zu betreten. Es wurde bestätigt, dass du ein Hochverräter bist. Du bist für den schändlichen Mord an dem seligen Königspaar verantwortlich! Dein Todesurteil wird sogleich auf der Bühne vollstreckt. Dann weiß jeder, dass der letzte Aufständische vernichtet ist. Und dein Tod soll der ungeahnte Höhepunkt deiner Vorstellung sein! Meine Allmacht und den ewigen Ruhm von Astralorn kann nichts mehr aufhalten! Wächtergarden, waltet eures Amtes!“ Die dämonischen Ritter zogen ihre stählernen schwarzen Schwerter und richteten sie auf Ozdamontraz. Doch der Zauberer erhob beide Hände in abwehrenden Gesten und die dunklen Gardisten konnten ihn nicht erreichen, als würden sie von einer unsichtbaren Wand aufgehalten. Sie starrten abgrundtief böse auf ihr anvisiertes Opfer und mir war, als hätten allein diese schrecklichen Blicke und die bösen schwarzmagischen Energien, die von den Wächtern ausgingen, einen Menschen auf der Stelle verbrennen und töten müssen. Aber Ozdamontraz hielt stand. In seiner rechten Hand erschien wie aus dem Nichts ein Zauberstab aus Ebenholz, auf dem wundersame Runen silbern und golden leuchteten. Das Antlitz des Zauberers hatte sich völlig verändert und er starrte dunkel und voller Zorn auf Königin Silviana. „Du bist die Hochverräterin!“, donnerte seine Stimme tief und unheilvoll. „Du hat das Königspaar ermordet und selbst die Macht ergriffen. Ich musste wiederkommen, um alles genauer zu ergründen. Lange hast du alle getäuscht, aber zuletzt hast du doch dein wahres abgrundtief hässliches Gesicht gezeigt, als du verblendet von grenzenlosem Machtwahn und reiner Bosheit viele Unschuldige geschlachtet und sogar die wirklichen Thronerben verflucht und verbannt hast. Aber sie leben noch und irgendwann kommt der Tag der Rache! Dann wird alle Welt erkennen, dass du in Wirklichkeit die böse Hexe Zerke bist, aus den giftigen Finstersümpfen von Schwarzborke hinter den leblosen nördlichen Dunkelwäldern. Und dann wird Astralorn wieder von dir befreit. Wehe diesem Tag der Rache, abscheuliche Hexe!“ Mit diesen Worten hob Ozdamontraz den Zauberstab und es blitzte erneut im Saal, ähnlich wie zuvor bei dem Zauber mit dem Feuerball, und als man einen Augenblick später wieder sehen konnte, war der Zauberer verschwunden. An seiner Stelle brannte auf dem Holzboden in magischen schwarzen Flammenzungen ein umgedrehtes Pentagramm, das Todeszeichen des Schwarzen Greifen. Er aber war unauffindbar! Die Königin stieß einen widerlichen und hasserfüllten Schrei aus, der nicht wie von einem Menschen klang, sondern wie von der widerlichsten Dämonenbestie, die man sich nur vorstellen konnte. „Der Unhold soll für immer auf seinem ekelhaften Schloss der goldenen Sonne bleiben und dort bis in alle Ewigkeit verrotten!“, keifte Silviana. „Mein Fluch besiegelt dein Schicksal, schäbiger Zauberer!“ Dann verließ sie, umgeben von knisternden schwarzmagischen Energien und gefolgt von ihren unheimlichen schwarzen Wächtergarden, schnellen und wütenden Schrittes den Saal. Es erschien mir wie ein noch größeres Wunder, als alles was ich gerade gesehen hatte, dass wir den Palast danach unbehelligt verlassen und zu unserem Lager vor der Stadt zurückkehren konnten.
* * *
Ozdamontraz hatte nach unserer Ankunft vor Drossel einen Großteil seiner Habseligkeiten aus unserem gemeinsamen Wagen in seine Gemächer im Palast bringen lassen, wie ich vermutete, um sich dort auf seine Vorstellung vorzubereiten und eventuell, um dort noch länger zu residieren. Als ich abends nach seinem Verschwinden von der Bühne in unser Lager zurückgekehrt war, suchte ich sogleich nach etwas Interessantem in seinen verbliebenen Sachen, das mir vielleicht etwas mehr Aufschluss über sein geheimnisvolles Wirken geben konnte, doch ich fand nichts dergleichen. Vagerant, Pandalan und andere, die schon mehr Erfahrung mit den seltsamsten Gestalten und den unheimlichen Vorgängen in Astralorn hatten, waren fest überzeugt, dass wir Ozdamontraz nie mehr wiedersehen würden. Wer sich dem Willen Königin Silvianas widersetzte – und sei es auch der größte Zauberer der Welt –, der starb für gewöhnlich einen grausamen Tod, wenn er es nicht schaffte, so weit wie irgend möglich vor ihr zu fliehen und sich dann für immer von Astralorn fernzuhalten. Und selbst dies soll nur wenigen jemals gelungen sein, ohne dass sie ihre bösen Mächte verfolgt und erbarmungslos vernichtet hätten. „Wenn er mehr Glück als Verstand hat“, sagte Pandalan, „dann hat er sich auf sein mystisches Schloss der goldenen Sonne retten können und bleibt für immer dort.“ „Wo liegt dieses seltsame Schloss?“, fragte ich, denn ich hatte zwar schon früher flüchtig davon gehört, doch nicht weiter darüber nachgedacht, was es damit auf sich haben mochte, bis auch Königin Silviana es in ihrem Fluch über Ozdamontraz erwähnt hatte. „Das weiß keiner“, antwortete der Schauspieler. „Wahrscheinlich handelt es sich dabei nur um eine alte Legende. Ich glaube kaum, dass dieses Schloss überhaupt existiert. Es gab jedoch immer schon Gerüchte, dass der Zauberer von diesem magischen Schloss der goldenen Sonne in einem unbekannten fernen Land stammte, bevor er einst an den Hof von Astralorn kam und somit in die Gefilde, die wir kennen.“ „Vergiss diesen Unsinn, Junge“, warne Direktor Vagerant. „Ozdamontraz hat den Bogen bei der Königin ganz gewaltig überspannt. Diesen närrischen Zauberer sehen wir nie wieder. Wir können nur hoffen, dass unser Unternehmen weiter unbehelligt bleibt, nach diesem Desaster. Hier wimmelt es überall nur so von schwarzen Wächtergardisten und die können mit uns machen, was immer sie wollen. Wäre es nicht um so verdächtiger, dann würde ich am liebsten sofort aufbrechen und künftig einen großen Bogen um Drossel und das ganze Zentralgebiet von Astralorn machen.“ „Es ist hier in letzter Zeit wirklich äußerst gefährlich und unheimlich geworden, schlimmer als jemals zu vermuten war“, bestätigte Pandalan. „Lass dir bloß nichts von deiner Freundschaft zum Zauberer anmerken!“ „Und was hat es mit dem Zeichen auf sich, das bei seinem Verschwinden zurückblieb?“, versuchte ich noch einmal vorsichtig nachzufragen, ohne einen Hinweis auf mein früheres Erlebnis mit dem Zauberer und dem Schwarzen Greifen zu geben, von dem ich selbst noch nicht genau wusste, ob es Wirklichkeit oder Traum gewesen war. „So etwas geht uns Spielleute nichts an“, sagte Vagerant missmutig. „Es ist besser, wir machen uns darüber keine unnötigen und gefährlichen Gedanken, wenn wir uns nicht den Zorn der Königin, der Wächtergarden und das Adels zuziehen wollen.“ „Aber es ist äußerst seltsam“, bemerkte Pandalan. „Was sollte Ozdamontraz mit diesem Meuchelmörder zu tun haben? Wenn man im Volk von diesem Geschehen erfährt, werden die Spekulationen jedenfalls kein Ende mehr nehmen: Hat der Schwarze Greif den Zauberer beseitigt, im Auftrag der Königin oder eines Unbekannten, oder aber wollte Ozdamontraz damit alle verwirren und in die Irre führen, oder aber machen der Mörder und der Zauberer als Komplizen gemeinsame Sache, oder aber ist Ozdamontraz etwa selbst der Schwarze Greif!? Der größte Zaubermeister und der größte Meistermörder aller Zeiten ein und derselbe!? Was für eine Geschichte!“ „Vergesst den Narren“, sagte Vagerant, „und schweigt über alles, was heute vorgefallen ist. Kein Wort mehr über ihn!“ So legte ich mich allein und voller Sorgen schlafen, als ich plötzlich ein leises Knarren an der Wagentür hörte. Ich richtete mich auf und dachte erst, Ozdamontraz wäre vielleicht zurückgekehrt, doch dann befürchtete ich eine Kontrolle der grauenhaften schwarzen Wächtergarden. Schließlich erblickte ich aber einen dünnen weißhaarigen Mann, der leise herein schlich, und erkannte, dass es der alte Hofdiener war, der uns im Palast unauffällig geleitet hatte. „Was wollt ihr hier?“, flüsterte ich. „Ich soll euch etwas geben“, sagte er leise mit besorgter Miene, als er vorsichtig näher kam. „Ich weiß nicht, was es ist, und ich will auch nichts mehr mit dem Ganzen zu tun haben. Aber dies ist mein letzter Dienst für einen alten verlorenen Freund.“ Daraufhin reichte er mir einen schwarzen Briefumschlag, in dem ein harter Gegenstand zu spüren war. „Lebt wohl“, flüsterte er und war schon wieder aus dem Wagen und in der dunklen Nacht verschwunden. Ich schaute kurz hinaus, um mich zu vergewissern, dass keine unbekannten Gestalten in der Nähe waren, und schloss die Tür von innen ab. Dann zog ich die Vorhänge so gut es ging vor die Fenster und entzündete eine kleine Kerze. Ich öffnete den Umschlag, der fest zugeklebt war, mit einen dünnen Messer und nahm ein Blatt Papier und einen eisernen Schlüssel heraus. Der Umschlag war innen mit schwarzer Seide ausgekleidet und auf dem edlen weißen Briefpapier stand in eleganter schwarzer Handschrift: Du wirst wissen, wozu der Schlüssel passt, wenn du sein Schloss findest. Doch bewahre ihn gut, denn Feinde lauern überall! Darunter war, anstatt einer Unterschrift, ein kleines umgedrehtes Pentagramm auf das Blatt gezeichnet. Ich betrachtete den Schlüssel und sah, dass sein Griff eine Adlerkralle darstellte. So wenig ich daran zweifeln konnte, von wem diese Nachricht und der Schlüssel stammten, so wenig konnte ich ahnen, was das Ganze zu bedeuten hatte, was ich damit anfangen sollte und welche Abenteuer und Gefahren noch auf mich warteten.
* * *
Drei Tage nachdem wir Drossel verlassen hatten und auf einer einsamen Landstraße nach Süden unterwegs waren, tauchten am Horizont plötzlich die königlichen schwarzen Wächtergarden auf. Man wollte die beliebten Spielleute von Kamarah vielleicht nicht in der Hauptstadt angehen, wo sie vom Volke wochenlang gern gesehen und bejubelt worden waren. Dies hätte zwar eine weitere erwünschte Abschreckung, aber auch leicht ein Umschlagen in blanken und offenen Hass gegen die Königin und den Hochadel bewirken können. Wenn Silviana gedachte, ihr Volk weiterhin mit Zuckerbrot und Peitsche bei der Stange zu halten, dann war es wohl angebrachter, die möglichen Verbündeten des Zauberers Ozdamontraz ohne großes Aufsehen zu beseitigen, nachdem sie ihren Zweck zur Belustigung der Leute bereits erfüllt hatten. Und wenn man sah, wie die schwarzen Wächtergarden in diesem Falle vorgingen, konnte man sehr gut verstehen, dass dabei keine Zeugen und darüber keine genauen Berichte erwünscht waren. Ich weiß nicht, wer die schwarzen Wächter zuerst gesehen hatte. Jedenfalls gingen die entsetzten Rufe durch den ganzen Wagenzug, wir hielten an und ich richtete mich auf dem Kutschbock auf, um Ausschau zu halten. Ich sah die schwarzen Ritter von einer Anhöhe schnell herab reiten, ihre großen schwarzen Pferde donnerten mit den mächtigen Hufen wie Feuerrosse aus den Untiefen der Flammenhölle über die bebende Erde auf uns zu. Es war sofort klar, dass jede Gegenwehr sinnlos war. Etwa dreißig schwarze Reiter kamen mit stählernen schwarzen Schwertern, gewaltigen Streitäxten und langen brennenden Fackeln auf die Spielleute zugestürmt, um alle zu töten. Unter ihren schwarzen Helmen in den bleichen leblosen Gesichtern glühten die blutroten Augen, und ich hatte nicht mehr den geringsten Zweifel, dass uns leibhaftige Dämonen angriffen, um uns alle bestialisch abzuschlachten. Ich sprang von grenzenloser Panik getrieben auf eines der beiden Pferde, die unseren Wagen gezogen hatten, löste eilig sein Zaunzeug ab und trieb es zu dem wildesten und schnellsten Galopp an, den ich jemals geritten war. Hinter mir hörte ich die Schmerzensschreie der Geschlachteten und sah aus den Augenwinkeln, dass die Wagen alle angezündet wurden. Als ich einige hundert Meter entfernt war, wagte ich es erstmals, mich richtig über die Schulter umzublicken, und da sah ich, wie die schwarzen Reiter im Kreis um den in lodernden Flammen aufgegangenen Wagenzug herum ritten, während einige Wächter noch vereinzelten fliehenden Menschen nachsetzten, die wie ich zunächst dem Ansturm entkommen waren, und sie mit heftigen Schwertstreichen vom Pferderücken aus abschlachteten oder einfach mit gewaltigen stählernen Hufen zu Tode trampelten. Große schwarze Rauchwolken stiegen über dem Ort des Grauens in den kalten Himmel auf und der Gestank nach Blut und Tod, nach Feuer und brennendem Fleisch wurde vom starken Wind bis zu mir herüber getragen. Offenbar sollte nichts von den unglücklichen Opfern übrig bleiben, wenn die Wächtergarden ihr Tötungswerk vollbracht hatten, deshalb wurde alles verbrannt. Dann bemerkte ich, dass sich drei schwarze Reiter von ihrer Truppe lösten und schnell in meine Richtung ritten, sodass ich mein Pferd weiter im Galopp antrieb, mich fest an seinen Hals drückte und nur noch voller Angst auf den Boden vor mir starrte. Ich war so lange und schnell geritten, wie ich konnte, bis das Pferd schlapp machte und ich mich kaum mehr im Sattel halten konnte. Irgendwann fand ich mich in einem dunklen Wald wieder und sank erschöpft und schweißgebadet aus dem Sattel zu Boden. Von den schwarzen Wächtern war nichts mehr zu sehen, aber das geschwächte Pferd war immer noch in heller Panik, lief ein Dutzend Schritte weiter und fiel dann erschöpft um. Es wieherte noch einmal schmerzerfüllt, erhob noch einmal schwach den Kopf und starb. Die glasigen toten Augen des Tieres starrten mich an, als ich mich selbst nur noch notdürftig hinter einen dicken Baumstamm ins Unterholz schleppen konnte und ebenfalls das Bewusstsein verlor. Als ich irgendwann wieder erwachte, war es tiefste Nacht und ich konnte durch die Baumwipfel einen Teil des dunklen Himmels und des weißen Vollmondes erblicken. Ich stand auf und wollte weitergehen, als ich plötzlich aus allen Richtungen ein unheimliches Rascheln und Rauschen hörte und ein eisiger gespenstischer Wind aufkam. Ich lief weiter und gelangte bald auf eine kleine Lichtung, darüber war der riesige weiße Vollmond nun in seiner runden Gänze zu erkennen. Ich starrte kurz, wie von dem bleichen Himmelskörper verzaubert, zum Nachthimmel hinauf und als ich wieder vor mich in den Wald blickte, hatten mich drei schwarze Wächter im Kreis umstellt, starrten mich böse an und erhoben ihre Schwerter. Lähmende schwarzmagische Energien gingen von den finsteren Gestalten und ihren feuerroten Todesaugen aus. Ich war mir jetzt völlig sicher, dass dies keine Menschen waren, sondern dass finstere Dämonen langsam auf mich zukamen, um meinen Leib zu zerfetzen und meine Seele in ewige Qual zu stürzen. In diesem Augenblick kam ein anderer seltsamer Wind auf. Wie aus dem Nichts erschienen mächtige dunkle Schwingen über der Lichtung und ein großes geflügeltes Wesen machte sich wütend flatternd über die Gardisten her. Lange scharfe Adlerkrallen zertrümmerten die schwarzen Helme und zerschnitten die bleichen Schädel der dunklen Ritter wie faule Äpfel. Der Schwarze Greif beugte sich über seine drei Opfer und hackte mit seinem monströsen Schnabel zu, um zu vernichten und um zu fressen. Er riss den Wächtern Fleischfetzen, Gedärme und Knochen heraus und verteilte sie über den Boden, bis sich schwarzmagische Energien aus den drei geschlachteten Leibern ergossen, ein elektrisches Knistern einsetzte und sich ein abscheulicher Gestank nach heißem Metall und Schwefeldämpfen auf der Lichtung ausbreitete. Schließlich zersetzten sich die Dämonenleiber völlig, ähnlich wie unglaublich schnell verwesende oder von Maden und Würmern verzehrte Fleischabfälle, und waren vom Erdboden verschwunden. Nun wandte sich der Schwarze Greif mit seinem gewaltigen Haupt zu mir um und ich hatte tausendmal mehr Angst vor ihm als zuvor vor den schwarzen Wächtergardisten und dem scheinbar sicheren Tod. Seine großen starren Adleraugen schienen unendliche Räume und Zeiten, ja, alle schwarzen Untiefen des ganzen dunklen Universums in sich zu bergen. Er kam langsam auf mich zu, bewegte seinen Kopf und öffnete seinen krummen Schnabel. „Was hast du mit diesem Abschaum aus den Finstersümpfen zu schaffen?“, fragte er mit einer bedrohlichen tiefen Stimme. „Soll ich dich jetzt auch verspeisen?“ „Sie haben mich verfolgt“, brachte ich verängstigt hervor. Dann fiel mir mein früheres Erlebnis ein, als ich Ozdamontraz beobachtet hatte, in einer Vollmondnacht auf einer Waldlichtung ganz wie dieser. Ich griff in meine Tasche und zog den Schlüssel mit der Adlerkralle heraus, um ihn dem Unwesen vorzuhalten. „Ich bin ein Freund des Zauberers Ozdamontraz“, sagte ich. „Diesen Schlüssel hat er mit geschickt, um damit für ihn zu handeln.“ „Dieser Zauberer war ein Narr“, sagte der Greif. „Ozdamontraz ist feige auf das Schloss der goldenen Sonne geflohen und kann woanders nichts mehr ausrichten, bis einmal ein anderer mit einer ungleich größeren Macht kommt, um ihn aus seinem Schloss und wieder gegen diese Hexe zu führen. Doch dieser Tag ist wahrlich fern, wenn er überhaupt jemals eintreten sollte.“ „Kannst du mir sagen, was ich mit dem Schlüssel anfangen soll?“, fragte ich. Ich wollte ihn von dem Gedanken abbringen, mich ebenfalls zu vernichten, und wenn ich seine seltsamen Reden auch kaum verstand, so fühlte ich mich jedenfalls darin bestätigt, dass der Schwarze Greif in einer besonderen Beziehung zum Zauberer gestanden hatte. „Weiß der Geier“, sagte der Greif und schien fast belustigt, hätte er nicht eine Aura von absoluter dunkler Macht und ewiger mystischer Existenz ausgestrahlt, die mir fast den Atem raubte. „Er hatte wohl noch etwas mit dir vor. Da er vorerst nicht mehr gegen die Zauberin kämpfen konnte, hat er diesen Schlüssel an dich weitergereicht. Künftig wirst du bei den Menschen die Taten ausführen, die man dem geheimnisvollen Schwarzen Greifen zuspricht.“ „Wie könnte ich das jemals tun?“, fragte ich entsetzt. „Ich habe keine Ahnung von solchen Dingen.“ „Du hast von ihm schon einiges dafür gelernt, vielleicht ohne es zu merken“, behauptete der Schwarze Greif. „Bald wird deine Ausbildung vollendet und dann wirst du meine menschliche Schwarze Hand. Von Zeit zu Zeit werde ich dich aufsuchen wie zuvor Ozdamontraz und davor viele andere. Ich selbst lebe von Ewigkeit zu Ewigkeit, doch der Schlüssel meines Schwarzen Ordens wird von Zeit zu Zeit unter den sterblichen Menschen weitergereicht. Du wurdest auserwählt, von Ozdamontraz und von mir, und somit bist du jetzt an der Reihe, ob du willst oder nicht.“ „Was ist denn überhaupt der Sinn deines Schwarzen Ordens?“, fragte ich in völliger Verwirrung ob der Ausführungen des Unwesens. „Töten“, sagte der Schwarze Greif. „Du tötest für deine Auftraggeber und von denen wirst du im Hochadel mehr als genug finden. Denn bei den Reichsoberen kann niemand seinesgleichen einfach willkürlich durch Befehl beseitigen, wie man es mit unliebsam gewordenen Untergebenen oder widerspenstigen Untertanen für gewöhnlich macht. Nur die Königin hat keinen Gleichgestellten in Astralorn und kann deshalb mit ihrer Macht gleichsam tun und lassen, was sie will, frei über Leben und Tod gebieten. Du tötest also, wenn man dich dafür fürstlich bezahlt, völlig gleichgültig, wer gerade als dein unglückliches Opfer bestimmt wird. Damit gewinnst du den besten Einblick und geheimen Zugang in die Regierungskreise des Hochadels. Aber eigentlich dienst du dem Schwarzen Orden. In Wirklichkeit bist du meine menschliche Schwarze Hand. Und unser Ziel ist es in diesen Zeiten unter anderem, die bösartige Königin Silviana von Astralorn zu bekämpfen, sie zu vernichten und damit ihre grauenhafte Tyrannei zu beenden, denn sie ist in Wirklichkeit die böse Hexe Zerke aus den giftigen Finstersümpfen hinter den leblosen nördlichen Dunkelwäldern, wie du vielleicht bereits von Ozdamontraz weißt.“ „Warum vernichtest du sie nicht einfach mit deiner unglaublichen Macht?“, wollte ich wissen. „Was könnte ich denn jemals dazu beitragen?“ „Die Dinge sind oftmals nicht so einfach, wie sie scheinen“, sagte der Greif. „Die Zauberin Silviana will die ganze Welt beherrschen und damit würden Mensch und Natur ewiglich den Mächten des absoluten Bösen anheim gegeben. Dagegen wendet sich nun der Schwarze Orden. Wenn man es aber mit mächtigen Dämonen und unsterblichen Wesen oder Unwesen zu tun hat, sind manchmal ungewöhnliche Wege und besondere Taten eines Menschen erforderlich, um den Lauf der Welt zu beeinflussen. Wir wissen es noch nicht genau, aber vielleicht kannst du eine kleine nicht unbedeutende Rolle im ewigen Getriebe des Weltgeschehens spielen. Bis dahin tust du, was dein Schicksal eben für dich bereithält, genauso wie Ozdamontraz und andere zuvor. Die Macht, die du dafür erhältst, sollte dich für alle Widrigkeiten entschädigen. Auf bald!“ Mit diesen Worten breitete der Schwarze Greif seine mächtigen Schwingen aus, stieß sich mit den kräftigen Beinen vom Waldboden ab und flog mit einem lauten Adlerschrei davon. Die Baumkronen in der Nähe rauschten noch kurz in dem kalten Flugwind im Schatten der gewaltigen Schwingen, aber dann sah es auf der kleinen Lichtung ganz so aus als wären weder die dämonischen schwarzen Ritter, noch der mystische Schwarze Greif jemals dort gewesen. Benommen von dem Erlebten, dass ich doch nicht ganz dem Reich der Träume und Illusionen zuordnen konnte, machte ich mich auf den Weg durch den Wald. Nach einiger Zeit erreichte ich wieder den Waldrand und hatte keine Ahnung, in welchem Teil von Astralorn oder wo sonst ich mich inzwischen befinden mochte. Ich war kein geübter Wanderer, da ich bisher immer mit dem Wagenzug der Spielleute auf den entsprechenden Straßen und Wegen gereist war, deshalb konnte ich mich in der Wildnis kaum an den nächtlichen Sternen oder irgendwelchen Merkmalen der umliegenden Landschaft orientieren. Ich wollte jedenfalls um keinen Preis der Welt so bald wieder in den Machtbereich der bösen Zauberin Silviana und ihrer schwarzen Wächtergarden geraten, jedenfalls nicht, bevor ich nicht genaueres über den geheimnisvollen Schwarzen Orden und die unheimlichen Pläne des wirklichen Schwarzen Greifen wusste, in denen mir offenbar völlig gegen meinen eigenen Willen eine äußerst fragwürdige Rolle zugedacht war. Nach einigen Stunden der einsamen Wanderung erblickte ich kurz nach Sonnenaufgang schließlich eine kleine einfache Holzhütte auf einer Anhöhe. Daneben grasten ein Dutzend Schafe friedlich auf der Wiese und in der Nähe scharten einige Hühner vor ihrem Stall. Als ich die Hütte erreichte und an die Tür klopfte, öffnete mir ein älterer grauhaariger Mann, offenbar der Schäfer, der einen einfachen braunen Kapuzenumhang trug und sich auf seinen langen Hirtenstab stützte. „Wohin des Weges?“, fragte er freundlich. „Das weiß ich selbst noch nicht genau“, antwortete ich. „Hier bist du sicherlich richtig“, sagte der Schäfer unter seinem grauen Bart hervor und bedeutete mir, in die Hütte einzutreten. „Ich will dir gleich ein großes Glas mit guter frischer Milch bringen. Und eine richtige Mahlzeit kannst du auch bekommen, wenn du bereit bist, hier etwas dafür zu arbeiten.“ „Nur zu gerne“, versicherte ich und setzte mich erschöpft an den Holztisch in das recht ärmliche, aber gemütliche kleine Zimmer.
* * *
Einige Zeit lang weilte ich bereits bei dem alten wortkargen, aber freundlichen Schäfer Makros und half ihm bei den alltäglichen Arbeiten. Seine Hütte lag gut versteckt in einer abgelegenen und so gut wie nie besuchten Gegend von Astralorn, sodass sie wie für mich geschaffen war und ich mich hier vorerst vor den königlichen Garden sicher fühlte. Eines Abends schickte Makros mich zu ungewöhnlich später Stunde zum Holzholen in den nahe gelegenen Wald, da er am Tage vergessen habe, den Vorrat an Brennholz aufzustocken. Ich dachte mir zunächst nicht viel dabei, schulterte die Axt und wanderte los. Als ich im Wald ankam und an einer geeigneten Stelle anfing, Holz zu hacken, brach bereits die Abenddämmerung herein und es wurde schnell dunkel in einer mondlosen Nacht. Der düstere Himmel war wolkenverhangen, es begann zu regnen und ich bemerkte, dass bald ein Gewitter ausbrechen würde. Deshalb wollte ich mit dem bereits gefällten und gesammelten Holz zu unserer Hütte zurückkehren und für den übrigen Vorrat am nächsten Tag bei besserem Wetter weitermachen. Als ich das Holz zum Abtransport zusammen band, hörte ich jedoch ein unheimliches Rascheln im Wald. Ich blickte mich erschrocken um und sah, dass ich von mehreren riesengroßen Schattenwölfen umzingelt war, die mich aus blutunterlaufenen Augen bösartig anstarrten. Diese tiefschwarzen Unwesen waren kaum mit gewöhnlichen Wölfen geschweige denn mit unseren gezüchteten und hörigen Haus- und Hütehunden zu vergleichen, sondern sie waren größer und stärker als Löwen und strahlten eine ungeheure dunkle Energie von abgrundtiefer Bosheit aus. Mindestens drei Schattenwölfe erkannte ich, die ihre langen spitzen Fangzähnen in ihren monströsen Schnauzen fletschten und sich grimmig knurrend auf mich zu bewegten. Einer der Schattenwölfe schnellte vor und erreichte mich als erster, während ich verzweifelt meine Axt erhob, um mich zu verteidigen. Ich erwischte das Unwesen am Hals und war selbst überrascht, dass die Klinge schwer und scharf genug war, um ihm eine tiefe Fleischwunde zu schlagen, aus der er kräftig blutete. Diese Wunde stachelte den Schattenwolf aber nur um so mehr an und jetzt kamen mehrere blutrünstige Raubtiere gleichzeitig böse knurrend auf mich zugeschnellt, um mit ihren grausigen Mäulern nach mir zu schnappen. Ich rechnete mir keine Überlebenschancen aus, hielt die Holzfälleraxt jedoch erneut bereit, um mein Leben so teuer wie möglich an die dämonischen Schattenwölfe zu verkaufen. Diesmal erwischte ich einen der Angreifer direkt von vorne im Gesicht, sodass die Axt seine widerliche Schnauze völlig zerschmetterte. Blut, Fleischfetzen, Zähne, Kiefer- und Schädelknochen wurden in alle Richtungen geschleudert und das monströse Raubtier wand sich bald auf dem Boden, wo es blutend und grauenhaft zuckend verstarb. Die anderen Schattenwölfe hatte mich gemeinsam angesprungen, aber bei ihrem gleichzeitigen Angriff allesamt um Haaresbreite mit ihren tödlichen Klauen und Schnauzen verfehlt. Als sie nun ihren geschlachteten Artgenossen betrachteten, schien sie etwas mehr Respekt vor ihrem vermeintlichen Opfer zu erfassen. Sie knurrten und heulten grauenhaft und schlichen lauernd um mich herum. Ich nutzte instinktiv diese Verschnaufpause, sammelte alle Kraft, holte tief Luft und erhob wiederum die blutverschmierte Axt. Wild stürmte ich auf einen meiner Feinde zu und schlug nach ihm. Das Untier konnte ausweichen, aber ich erwischte ihn noch am Hinterbein, sodass er dort verletzt wurde und heftig blutete, während ich mich aus der Umzingelung befreit hatte und nun versuchte, davon zu laufen. Ich lief blindlings so schnell ich konnte durch den Wald und hörte hinter mir die heulenden Schattenwölfe. Eigentlich konnte ich nicht ernsthaft hoffen, schneller als diese Bestien zu sein und ihnen irgendwie zu entkommen. Doch mir schien, dass sie nach meiner ungeahnten Gegenwehr, mit der ich einen getötet und zwei verletzt hatte, zunächst noch weitere ihrer grauenhaften Artgenossen herbeirufen wollten, um mich dann alsbald irgendwo im Wald aufzuspüren und mir grausam den Garaus zu machen. Ihrer Witterung, ihrer Schnelligkeit und schließlich ihrer wilden Übermacht konnte ich niemals entkommen, wenn sie mich erst einmal mit einer größeren Meute eingeholt und gestellt hatten. Wie überrascht war ich deshalb, dass ich mich bis zum Waldrand durchschlagen konnte und, ohne bewusst diese Richtung gewählt zu haben, genau auf jenem Weg den Wald verließ, der zurück zur Schäferhütte führte. Jetzt erkannte ich die Gegend wieder und lief weiter über die freien Felder und Hügel. Seltsamerweise schöpfte ich auf dem vertrauten Weg etwas verzweifelte Hoffnung, dabei wusste ich doch, dass ich hier im offenen Gelände ein noch leichteres Ziel für meine grausigen Verfolger abgeben musste. Bald hörte ich wieder Heulen und Knurren hinter mir und sah aus den Augenwinkeln, dass mir nun wohl ein Dutzend Schattenwölfe dicht auf den Fersen waren. Ich erreichte verzweifelt die kleine Hütte, stürmte hinein und verschloss die Tür hinter mir. Dabei wurde mir schlagartig bewusst, dass ich die wilden Unwesen in meiner Unbesonnenheit nun zum alten Makros und seinen wehrlosen Tieren geführt hatte und dass dies letztlich unser aller Ende bedeuten musste. Makros war nicht in der Hütte. Ich verbarrikadierte die Tür und die Fenster und suchte nach weiteren Gegenständen, die ich neben der Axt eventuell als Waffen einsetzen konnte. Dabei fiel mir auf, dass der einfache Jagdbogen verschwunden war. Ich musste also annehmen, dass Makros bei Einsetzen des Gewitters damit aufgebrochen war, um nach mir zu suchen und mich zurückzuholen. Vielleicht würde er somit doch verschont werden. Inzwischen hatten die Schattenwölfe die Hütte erreicht und ich konnte ihr grausames Knurren und bald darauf die Todesschreie der gerissenen Schafe und das panische Gegacker der todgeweihten Hühner hören. Nachdem die Raubtiere ausgiebig getötet und gefressen hatten, wurde es beängstigend still vor der Hütte. Ich war jedoch sicher, dass die Schattenwölfe dort auf mich lauerten, denn obwohl sie von den Schafen satt sein mochten, konnten ihre Blutlust und ihr Hunger nach Menschenfleisch niemals gestillt werden. Schweißgebadet wachte ich lauschend an einem Fenster, die blutige Axt im Anschlag. Der Sturmwind, das Donnern und der Regen, der auf die Hütte und die Wiesen prasselte, wurden gelegentlich von einem unheimlichen Heulen der Schattenwölfe durchsetzt. Als der Morgen graute, schob ich vorsichtig einen Fensterladen einen Spalt weit auf, um hinaus zu blicken. Sogleich schnellten eine große Schnauze mit spitzen Zähnen und eine mächtige Wolfspranke durch das Holz und zerfetzten es. Ich wich blitzschnell zurück, holte mit der Axt aus und schlug mit aller Kraft zu. Dabei traf ich den Vorderlauf und trennte dem Schattenwolf seine krallenbewehrte schwarze Pfote ab, die herunter fiel und blutend über den Boden rollte. Er wich kreischend zurück und ich versuchte das Fenster wieder notdürftig zu verbarrikadieren. Doch jetzt gab es keine wirkliche Hoffnung mehr. Ich hörte die blutrünstige Meute von Schattenwölfen um die Hütte herum schleichen. Sie brauchten bloß durch die Fensterläden und die Holzwände zu brechen und ich war ihnen ebenso ausgeliefert wie zuvor die Schafe und Hühner. Mit der Axt in der Hand wartete ich auf den sicheren Tod. Da hörte ich vor der Hütte plötzlich lauteres Knurren und andere Geräusche. Ich sah wieder aus dem Fenster und bemerkte den Grund für die Veränderung. Vielleicht fünfzig Meter entfernt stand eine kleine Gestalt in braunem Umhang mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze. Sie richtete Pfeil und Bogen auf die Schattenwölfe und schoss einen Pfeil nach dem andern auf sie ab. Die Bestien wandten sich von der Hütte ab und diesem unerwarteten Angreifer zu. Sie liefen auf ihn zu, doch da hatte er schon vier von ihnen mit Pfeilen in die Köpfe getroffen. Offenbar waren die Pfeile von besonderer Stärke und wurden außergewöhnlich schnell und gezielt abgefeuert, denn die vier getroffenen Wölfe fielen sofort tot um, wie es bei normalen Pfeilen niemals vorstellbar gewesen wäre. Noch drei weitere Wölfe fällte der Bogenschütze in ihrem wilden Ansturm, aber dann waren die fünf übrigen Raubtiere so dicht bei ihm, dass er nicht mehr zielen konnte. Er musste im nächsten Augenblick von den riesigen Unwesen zerfetzt werden. Stattdessen ließ er den Bogen fallen und griff blitzschnell nach einem langen Stab. Er teilte ihn in der Mitte, zog ihn auseinander und hielt nun zwei dünne Stockdegen in den Händen. Damit fuchtelte er blitzschnell herum, während er den Angriffen der Wölfe leichtfüßig und elegant wie ein Tänzer auswich, und fügte ihnen zahlreiche Schnittwunden zu, streckte sie einen nach dem anderen mit gezielten Streichen durch ihre Kehlen nieder, bis nur noch ein Schattenwolf übrig war. Ich war inzwischen herbei gelaufen, um dem Mann beizustehen. Nun erhob ich wieder die Axt und ließ sie mit aller Kraft von hinten auf den Nacken des letzten Wolfs niedergehen. Ich schlug ihm eine tiefe Fleischwunde, brauchte aber noch zwei weitere gezielte Hiebe in das Genick, um ihn endgültig zu töten. Dann sank er leblos neben die Überreste der übrigen geschlachteten Meute nieder. „Vielen Dank für deine Hilfe“, sagte der Mann, steckte die beiden Stockdegen wieder zu dem langen Hirtenstab zusammen und nahm seine Kapuze ab. Makros grinste mich belustigt und fröhlich an und hob seinen alten Jagdbogen auf. „Lass uns die Pfeile wieder einsammeln“, sagte er. „Ihre Machart und ihren Stahl findet man nur selten.“ So erfuhr ich auf etwas unliebsame Art, dass ich bei Makros meine Ausbildung für den Schwarzen Orden fortsetzen sollte. Da mein neuer Lehrmeister nun keine Schafe und Hühner mehr besaß, packten wir unsere wichtigsten Sachen zusammen und begaben uns auf eine lange Wanderung den großen Fluss hinab.
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