Die Zauberer von Atlantis

 

 

Zweites Buch:

 

Der Feldzug des dunklen Herrschers

 

 

 

 

 

11. Kapitel: Die alte Bibliothek

 

 

 

Seit meiner frühen Kindheit habe ich die endlosen Labyrinthe des Palastes von Atlantium erforscht. Da meine Eltern bereits kurz nach meiner Geburt von Intriganten bei Hofe er­mordet wurden, oblag meine Erziehung zunächst einem alten Kindermäd­chen und später einigen Gouvernanten und Lehre­rinnen. Obwohl man versuchte, mich von den ge­wohnten Bediensteten des Palastes abzuschirmen, und ich somit auch fast keinen Kontakt zu an­deren Kindern hatte, gelang es mir schon früh, mich un­bemerkt aus den königlichen Ge­mächern zu schlei­chen und mich relativ frei in dem riesigen Gebäu­dekomplex zu bewe­gen.

Insbesondere durfte ich offiziell keinen Kon­takt zu fremden Jünglingen oder überhaupt zu fremden Männern haben, da die Gefahr bestand, dass jemand sich durch eine Schwan­gerschaft bei mir in die königliche Familie und somit in die höchsten Kreise der Macht von Atlantis zu stehlen gedachte. Dies hätte dann bei meinen mächtigen Verwandten zumin­dest einige Bemühungen erfor­dert, diese Bedrohung durch Mordintrigen erfolg­reich abzu­wehren, sodass man jeder möglichen Entwicklung in dieser Richtung von Vornherein einen Riegel durch systematische Isolation der jun­gen Prinzessin vorschieben wollte.

Meine Ausflüge unternahm ich allerdings oh­nehin unerkannt, indem ich mich als kleines Kind vor aufmerksamen Blicken versteckte oder des Nachts unterwegs war und mir später einfach die gewöhnliche Kleidung eines Zimmermädchens oder eines Küchenmädchens anzog. So konnte ich vor allem in den letzten Jahren vor meiner Krö­nung viel mehr erkun­den und kennen lernen als in meiner Stellung eigentlich erlaubt gewesen wäre.

Den Palast von Atlantium bewohnten mehrere tausend Menschen, wobei nur ein kleiner Bruchteil von einigen Hundert dem Hochadel angehörten und die übrigen höhere, mittlere und niedere Hof- und Verwaltungsbeamte sowie alle möglichen sonstigen Bediensteten der verschiedensten Berei­che waren. Der Bereich der weitläufigen luxuri­ösen privaten kö­niglichen Gemächer und der priva­ten Gemächer des Hochadels sowie der prunkvol­len herrschaftlichen Säle und repräsentativen Räumlichkeiten um den großen Thronsaal her­um bildete das Zentrum des Palastes und nahm bereits für sich einen unüberschaubar großen Raum auf mehreren Ebenen ein. Unzählige weitere Räum­lichkeiten für die Verrich­tung der hohen, mittleren und niederen Verwaltung sowie der vielfältigen sonstigen niede­ren Arbeiten zuzüglich der einfa­chen Wohngemächer der Bediensteten ließen den Königli­chen Palast die Ausmaße einer eigenen Stadt innerhalb der Hauptstadt Atlantium einneh­men. Darüber hinaus gab es noch viele weitere unbe­wohnte und größtenteils völlig unbe­kannte Gänge, Säle, Zimmerfluchten sowie schier unergründliche Kellergewölbe und Dachgeschosse, die vor Jahr­hunderten oder Jahrtausenden von unseren Vorfah­ren erbaut und vermutlich auch vielfältig bewohnt und genutzt, jedoch seit Generationen nicht mehr betreten worden waren, da ihre früheren Funktio­nen ebenso wie ihre verblichenen Bewoh­ner längst in Vergessenheit geraten waren. Es dürfte den kö­niglichen Baumeistern des­halb auch nicht sonder­lich schwer gefallen sein, vom Zentrum des Palas­tes aus die gehei­me Verbindung zu der riesigen un­terirdischen Fertigungshalle für das fantastische Ster­nenschiff zu errichten, in die Kadrox und Verti­gor mich als neue Königin geführt hatten.

Wenn ich auch diese besonders bewachten und strengstens geheimgehaltenen Bereiche als Kind freilich noch nicht entdeckt hatte, so war ich doch vor meiner Inthronisierung be­reits durch große Tei­le des Palastlabyrinths gewandert.

 

Besonders gut erinnere ich mich an jenen Tag, als ich die alte Bibliothek des Palastes ent­deckte. Frei­lich gab es auch eine neue Palastbibliothek, die den Verwaltungsräumen der Beamten angehörte und gelegentlich auch von Mitgliedern der königlichen Familie und des Hochadels aufgesucht wurde, etwa im Rahmen meines Unterrichts durch die eine oder andere Lehrerin. Dort gab es zahlreiche Register und Chroniken, die sich auf die ur­alten und weit­verzweigten Stammbäume des Hochadels und die neuere Historie von At­lantis bezogen. Auch waren dort wissenschaftliche Studien etwa zu Architektur, Städtepla­nung, Schiffs- und Wagenbau, Landwirt­schaft, Viehzucht und allen Sparten der Naturkun­de und Medizin vorhanden. Den größten Teil nah­men jedoch theoretische Abhandlungen der Kriegs­führung, der Staatsführung und der Staatsverwal­tung ein sowie die umfangrei­chen Gesetzestexte, auf die sich die Beamten etwa im Streitfall, aber auch bei ihren alltäg­lichen Entscheidungen und Maßnahmen gegenüber Gleichgestellten, Unterge­benen und gewöhnlichen Bürgern bei Gelegenheit berufen konnten, wenn einmal eine rechtliche Fra­ge ungeklärt war und auch die Vorgesetzten aus dem Hochadel hier mangels persönlicher Interes­sen keine eindeutigen Anweisungen erteilt hatten.

Die alte Bibliothek hingegen entdeckte ich nach einer mehrstündigen Wanderung durch mir zuvor unbekannte leere Gänge. Gerade dachte ich, dass ich mich nun wohl endgültig verlaufen hätte und einsam verhungern müsste, als ich das große schwere Holztor erblick­te. Es stand einen Spalt weit offen, sodass ich nicht befürchten musste, es sei verschlos­sen. Sogleich las ich die silberne In­schrift auf der Außenseite des dunklen Tors: Die Ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren. Denn unergründlich sind die Quellen des Wahn­sinns und die Meere des Todes. Und dazwischen nur ein Fluss der Schmerzen!

Bei diesen wenig einladenden Worten hätte man vielleicht ein Irrenhaus, ein Verlies, eine Fol­terkammer oder ein Sterbehaus für Aussätzige er­wartet. Dennoch brachte der seltsame Sinnspruch, wenn es sich denn um einen solchen handelte, et­was in meiner Seele zum Klingen und weckte mei­ne Neugier.

Ich trat durch das Tor ein und betrat somit die alte Bibliothek. Hier gab es abertausende Gänge mit Bücherregalen, die sich offensichtlich, wie ich bald erkannte, auch noch über viele Stockwerke er­streckten, die durch steinerne Wendeltreppen mit­einander verbunden waren. Ich stöberte etwas her­um und meinte bald, wenn ich hier nichts zu essen und zu trinken und auch keinen Hinweis auf einen sicheren Rückweg in die bewohnten Gegenden des Palastes finden würde, dann dürfte sich der seltsa­me Willkommensgruß hier nur zu schnell bewahr­heiten. Die großen alten Ledereinbände der unzäh­ligen uralten Bücher wa­ren mit einer dicken Schicht von dunkelgrauem Staub bedeckt und überall mit Spinnweben überzogen. Hinweise auf Leben oder Rettung gab es hier wirklich nicht.

Kaum hatte ich mich entschlossen, mein Ge­dächtnis in meditativer Weise auf das äußers­te an­zustrengen und, wie ich es bei meinen vielen frü­heren Wanderungen durch das Pa­lastlabyrinth ge­lernt und geübt hatte, mir somit den Weg, den ich heute zurückgelegt hatte, ganz genau vorzustellen und in allen Einzelheiten in Erinnerung zu rufen, sodass ich den Rückweg schließlich finden könnte. Da hörte ich jedoch aus einem fernen Gang der Biblio­thek ein leises Schlurfen. Vermutlich handelte es sich nur um eine Ratte oder ein ähnli­ches Tier, das unter diesen unwirtlichen Bedingungen überle­ben mochte, doch das Ge­räusch hielt weiter an und aus Neugier folgte ich ihm.

Nach einiger Zeit erreichte ich einen alten Mann, der vor einem Regal langsam auf und ab ging und ganz in ein großes altes Buch vertieft war. Er trug die grauen Gewänder und den grauen Um­hang eines Gelehrten von der Königlichen Akade­mie und hatte langes weißes Haar und einen langen weißen Bart. Erst einige Minuten nachdem ich in seiner Nähe an­gelangt war und begonnen hatte, ihn leise zu beobachten, blickte er plötzlich auf und schaute mich überrascht und durchdringend an.

Seid gegrüßt“, sagte er. „Mit wem habe ich die Ehre?“

Sydyana“, sagte ich, da ich gleich erkannte, dass ich dem alten Mann nichts vormachen konnte. Ein Bernsteinamulett mit dem Antlitz einer Eule, das er an einem Band um den Hals trug, wies ihn als Zauberer der Akademie aus. Meinen damaligen Titel als Prinzessin ließ ich trotzdem weg, um kei­ne allzu förmliche Stimmung zu erzeugen. Dazu passte auch nicht mein Aufzug als Küchenmäd­chen, denn eine solche Verkleidung war freilich meilen­weit unter der Würde der königlichen Fami­lie und konnte bei Kenntnis einiger Hofintrigan­ten einen mittelgroßen Skandal auslösen.

Ich bin Tyrbald“, sagte der Mann. „Hierher verirrt sich nicht oft jemand. Ich glaube, außer mir und einigen meiner Studenten war hier schon viele Jahre keiner mehr. Was führt Euch her?“

Der Zufall“, sagte ich. „Ich habe mich wohl in den alten Gängen verlaufen. Zum Glück habe ich Euch getroffen.“

Es ist wahrlich ein weiter Weg“, sagte der alte Zauberer. „Und jetzt soll ich wohl das Kin­dermädchen spielen und Euch nach Hause bringen, was?“

Wenn Ihr hier vielleicht etwas zu trinken für mich hättet“, erwiderte ich, ohne mich von der un­angebracht spöttischen Bemerkung sonderlich be­eindruckt oder provoziert zu zeigen, „dann warte ich gerne, bis Ihr selbst gedenkt, den Rückweg an­zutreten, oder aber die Zeit findet, mir den richti­gen Weg zu beschreiben.“

Oh, ich bin manchmal viele Wochen hier“, sagte Tyrbalt. „Aber ich will Euch nicht lange auf die Folter spannen. Etwas Gesellschaft auf dieser Reise wird uns beiden gut tun. Ein paar Jahre blei­ben mir vielleicht noch, hier künftig meine Studien fortzusetzen.“

Daraufhin stellte der Zauberer das Buch kra­chend zurück an seinen Platz im Regal, so­dass Spinnweben zerrissen und Staub darum herum auf­gewirbelt wurde. Er begab sich an ein nahe gelege­nes hölzernes Lesepult, auf dem ein besonders großes Buch aufgeschla­gen war. Aus einer Tasche daneben holte er eine gläserne Wasserflasche, wel­che er mir reichte. Ich trank in mehreren großen Schlucken.

Was hat es mit dieser Bibliothek auf sich?“, fragte ich, als der Zauberer sich zum Aufbruch be­reit machte. Dabei schob er einen Wagen mit Bü­cherstapeln an.

Da ich heute ohne andere Begleitung hier bin“, sagte er, „möchte ich die Gelegenheit nut­zen und Euch bitten, diesen anderen Bücherwagen dort mit in die Akademie zu schieben.“

Gerne“, sagte ich und fasste die Griffe des Wagens, „wenn Ihr mich dafür über die Ge­heimnisse dieses seltsamen Ortes aufklärt.“

Die Bibliothek ist uralt und vergessen“, sagte Tyrbalt, als wir uns durch die endlosen Gän­ge zwi­schen den verstaubten Regalen entlang bewegten. „Die alte Bibliothek enthält un­endlich mal mehr Bücher als die neue Bibliothek der schnöden Be­amten. Und alles, was dort von Bedeutung ist, das enthält sie in vielfachen Variationen und mit Mas­sen an Ergän­zungen und Erläuterungen in unend­lich vielen, größtenteils längst vergessenen Spra­chen. In Jahrzehnten des Studiums habe ich nur einen verschwindend geringen Bruchteil der Werke zur Magie lesen können. Früher habe ich versucht, ein logisches System zu entwi­ckeln, um die best­möglichen Ergebnisse zu erzielen und möglichst viele Erkenntnisse über die Formen der Magie und die anderen wundersamen Fähigkeiten unserer Vor­fahren zu erlangen. Doch die Werke und Fähigkei­ten der Alten sind wahrlich unergründlich. Ich las­se mich jetzt mehr von der Intuition leiten und lese neben magischen Werken auch immer mehr Werke der schönen Literatur und Dichtung. Diese enthal­ten eine ganz andere Form der Magie und der Er­kenntnis, die in der Wissenschaft nicht zu vermit­teln ist. Die Bemü­hungen, andere vom Wert und vom Schatz der alten Bibliothek zu überzeugen und dafür zu begeistern, habe ich ebenfalls aufge­geben. Außer wenigen Studierenden der Magie verirrt sich niemand mehr hierher. Eigentlich nur zu verständlich angesichts des drohen­den Erlö­schens der roten Sonne. Dabei gibt es auch dazu ei­niges in den wissenschaftli­chen und philosophi­schen Werken der Alten zu entdecken. Alchemie und Astronomie be­fassen sich seit langem mit dem Ende der Zeiten und einem möglichen Überleben.“

Die Gänge und Ebenen der alten Bibliothek und somit auch ihre Bücher und deren Ge­schichten und Gedanken erschienen mir damals und bei mei­nen wenigen späteren Besu­chen in der Tat unend­lich, und sei es auch, dass die Räumlichkeiten in seltsamen und äu­ßerst raffinierten geometrischen Formen angeordnet waren, die einen solchen Ein­druck der Unendlichkeit in der Wahrnehmung und im Verstand der Menschen hervorriefen. Es moch­ten dabei auch Sinnestäuschungen und Illusionen und die uns unerklärlichen Mecha­nismen und Techniken der Alten im Spiel sein. Denn wie sollte Unendlichkeit innerhalb des großen und verzweig­ten, aber dennoch räumlich begrenzten Königspa­lastes, ja selbst in­nerhalb der unvorstellbaren Grö­ße, aber eben doch räumlich begrenzten Größe un­seres Planeten oder unseres Sonnensystems existie­ren? War überhaupt so etwas wie räumliche oder zeitliche Unendlichkeit angesichts der Sterblichkeit der Menschen und der Vergäng­lichkeit aller Welten denkbar? Widersprüchliche Gedanken und Fragen ohne Antworten konnten in der verstaubten Atmo­sphäre der alten Bibliothek und von den vergilbten Seiten ihrer uralten Bücher aufkommen und unauf­hörlich den Geist martern. Je mehr mögliches oder vermeintliches Wissen einem zur Verfügung stand, desto mehr und desto schmerzlicher wurde einem doch auch die eigene weitreichende Unwissenheit bewusst.

Der alte Zauberer Tyrbalt jedenfalls wurde mir zu einem wichtigen Berater und besonderen Ver­trauten. Nachdem ich einige Zeit später zur Köni­gin gemacht worden war, konnte ich verhindern, dass er von Intriganten an der Akademie gemeu­chelt oder aus dem Amt gejagt wurde. Dennoch brach er schließlich aus Atlantium auf, um für die Menschen von Atlantis und gegen die dunkle Be­drohung aus dem Wüsten Land zu kämpfen.

 

 

 

 

 

12. Kapitel: Zum Angriff

 

 

 

Ich schnitt meinem Opfer mit einem schwarzen Dolch die Kehle durch und beobachtete, wie es zu Boden sank und in seiner Blutlache starb. Der Sol­dat war auf seinem Wachpos­ten eingeschlafen und deshalb dem Tode geweiht. Und da ich gerade eine Inspektion der Festungsanlagen vornahm, nutzte ich die Gelegenheit, um zugleich die eiserne Diszi­plin der Truppen und meine schwarzmagischen Kräfte weiter zu stärken. Die Lebensenergien des Gerichteten gingen sogleich mit einem blauen und weißen Knistern und Blitzen in mich über, sodass ich mit der Energie etwa vermocht hätte, durch Fernwirkung eine stei­nerne Burgmauer zu zer­schlagen oder einen anderen Magier mit einem schwarzen Blitz zu vernichten. Stattdessen sam­melte und speicherte ich diese Energie wie auch die aus den zahllosen Opfern, die ich zuvor zur Stärkung meiner magischen Kräfte und im Dienste des allmächtigen Meisters geschlachtet hatte.

Werft die Überreste des Versagers den wilden Tieren vor“, befahl ich den umstehenden Männern und wandte mich von der verkohlten Leiche mit ih­ren verstümmelten und ver­sengten Fleisch- und Knochenresten ab.

Jawohl, Meister Andron!“, rief ein Unterfüh­rer und einige Soldaten machten sich ans Werk. Insgeheim schmeichelte es mir noch immer sehr, so angeredet zu werden. Ich ge­noss das Gefühl, dass mir blinder Gehorsam und zugleich grenzen­lose Furcht und fanati­sche Bewunderung von den Untergebenen entgegengebracht wurden, seit ich einer der höchsten Getreuen von Alazar und nie­mandem außer ihm Rechenschaft schuldig war.

Nachdem es bei der Inspektion keine weiteren besonderen Vorkommnisse gab, kehrte ich in den großen schwarzen Turm meines allmächtigen Meisters zurück und begab mich über die langen steinernen Wendeltreppen ganz nach oben in die zentralen Herrschaftsgemä­cher.

Silberner Fuchs!“, begrüßte mich Oborion, der nun ebenfalls in hoher Stellung dem Meis­ter Alazar dienen und das Wilde Volk in der Armee anführen durfte. „Großer Führer uns ru­fen zu Be­fehl. Bestimmt er schicken uns bald zum Angriff!

Wahrlich“, sagte ich in meiner Muttersprache, die der alte Fuchsschamane inzwischen ein wenig gelernt hatte und verstehen konnte. „Ich denke auch, unser Sieg ist nahe. Ich freue mich darauf, den Feind zu vernichten.“

Drei weitere mächtige Schwarzmagier erschie­nen und wir warteten ehrfurchtsvoll auf das Signal eines Wächters, mit dem wir in den Saal des Meis­ters gerufen wurden. Alazar stand unbewegt in sei­nem dunklen Gemach, das Antlitz unter seiner schwarzen Kapuze verbor­gen. Wir knieten uns vor ihm nieder und spürten die unvorstellbaren magi­schen Energien die von dem allmächtigen Meister und dem finsteren Dämonenauge ausgingen.

Die Zeit ist gekommen“, sprach der Dunkle. „Meine Armee reitet heute Nacht gegen Atlan­tis. Wenn der Feind geschlagen und das Land unser ist, setze ich einen von euch als Stadthalter ein. Das Volk von Atlantis darf uns dann als Sklaven dienen und meine Streit­macht aufstocken. Damit erobern wir die ganze Welt und verfügen über die gesamte Le­bensenergie der Erde. Wenn es dann zum Ster­ben der roten Sonne und zum Tod dieses Sonnen­systems kommt, werde ich die kosmischen Energi­en dergestalt bündeln und die schwarze Magie des Dämonenauges dergestalt entfesseln, dass meine ewige Herrschaft über das Multiversum beginnt.“

 

 

 

 

 

 

13. Kapitel: Ins Wüste Land

 

 

 

Pandorax und seine Gefährten gingen hinter einem Felsvorsprung in Deckung und beob­achteten, wie in der Ferne die Truppen aus dem Wüsten Land im Licht der aufgehenden dunkelroten Sonne vorbei­marschierten.

Was denen im Weg steht“, bemerkte der Schwarzmagier, „wird gnadenlos niedergemacht. Wenn diese Armee in Atlantium eintrifft, bleibt dort kein Stein mehr auf dem anderen. Aber­tausende werden massakriert oder in die Streitmacht von Alazar eingegliedert.“

Als die gewaltige Armee der Unwesen außer Sichtweite war, setzte die Gruppe ihre Wan­derung ins Zentrum des Wüsten Landes fort.

In drei Tagen werden wir Alazars Festung er­reichen“, sagte Pandorax. „Es ist am sichers­ten, wenn wir keine Magie zur Fortbewegung einset­zen, damit sie nicht von den feindli­chen Schwarz­magiern und Dämonen oder von dem schäbigen Unhold selbst wahrgenom­men wird und man uns hier sogleich aufspürt. Dennoch besteht große Ge­fahr, dass der Feind uns irgendwie entdeckt und angreift. Seid also ständig auf der Hut!“

Wie kann ein derart trostloses und totes Land überhaupt existieren?“, fragte Adebar nach einiger Zeit schweigsamer Wanderung über grauen Sand und schwarze Gesteinsbrocken.

Das Wüste Land“, erklärte Tyrbalt, „ist schon seit vielen tausend Jahre tot. Früher soll das anders gewesen sein. Vor ein paar Jahren bin ich in der al­ten Palastbibliothek einmal durch Zufall auf uralte Schriften gestoßen. Darin ist von einem mythi­schen goldenen Zeit­alter die Rede, in dem die Welt ganz anders ausgesehen hat. Die Techniken und Fähigkei­ten der Alten sind uns heute praktische un­vorstellbar. Und auch die Erdoberfläche und die Länder haben völlig anders ausgesehen. Wie wir wissen, verändert sich die Erde sehr langsam in gleichsam unendlicher Zeit und schafft neue Konti­nente, Meere und Gebirge. Hier ist jedoch etwas anderes geschehen.“

Und das wäre?“, fragte der Schwertmeister Felarion.

Den Aufzeichnungen zufolge“, fuhr Tyrbalt fort, „war diese Gegend vor Tausenden von Jahren äußerst lebendig und fruchtbar. Dann fand jedoch eine unglaubliche Verheerung statt. Die unvorstell­bare schwarze Magie, die einigen Technologien der Alten innewohnte, hat sich hier auf schreckliche Weise ausgewirkt, wenn man den Aufzeichnungen glauben darf. Vielleicht waren auch noch ganz andere Kräfte am Werk, hier unterscheiden sich die Mutmaßungen der Chronisten und Wissenschaftler. Viele Millionen von Menschenleben sollen jeden­falls auf einen Schlag ausgelöscht worden sein und die Nachwirkungen der Verheerung lassen bis heu­te keine neues Leben im Wüsten Land gedeihen. Darin stim­men die verschiedenen Quellen über­ein.“

Dies ist wahrlich der rechte Ort für einen Wi­derling wie Alazar“, warf die Waldzauberin Za­yandra ein. „Dieses tote Land ist das genaue Gegenteil des großen grünen Waldes. Die meisten Lebewe­sen, die sich hier länger aufhalten, nehmen großen Schaden an Leib und Seele. Deshalb wird das Wüste Land für gewöhnlich von allen Menschen und Tieren ge­mieden. Dem Feind und seinen Un­wesen dürfte es hingegen eine ideale Heimstätte sein.“

In der Tat“, bestätigte Pandorax. „So wie im Wüsten Land wird es nach Alazars Willen bald auf der ganzen Erde aussehen. Und sogar noch schlim­mer. Gegenüber der Herr­schaft Alazars wäre das Erlöschen der Sonne eine Erlösung.“

Dann kann ich nur hoffen“, sagte Felarion, „dass wir den Sieg gegen Alazar erringen und das Wüste Land noch rechtzeitig wieder verlassen, be­vor es uns Leib und Seele verzehrt.“

 

 

 

 

 

14. Kapitel: Besessen

 

 

 

Ich hatte schon früher immer wieder unerklärliche Einflüsse dunkler Mächte bei Hofe emp­funden, doch als Königin wurde ich fast jede Nacht von seltsamen und oftmals grauenhaf­ten Träumen heimgesucht. Meistens konnte ich mich beim Er­wachen jedoch nicht mehr an die Einzelheiten der Träume erinnern, sondern es blieb lediglich eine dunkle und unheimli­che Stimmung zurück, die sich von dem Nachklang gewöhnlicher Alpträume unterschied.

Tyrbalt erklärte mir, dass Schwarzmagier oder sogar Dämonen manchmal versuchten, Be­sitz vom Geist einer Person zu ergreifen, um diese ganz nach eigenem Willen zu lenken und zu gebrauchen. Dies konnte mit Wissen der Wirtsperson und ent­weder gegen oder in gewissem Grade auch mit de­ren Einverständnis geschehen, wenn jemand sich dadurch etwa selbst größere Macht erhoffte. Es konnte dem Opfer jedoch auch völlig unbewusst bleiben, sodass es dann gleichsam als willenlose Marionette des Unholdes gebraucht wur­de, welche dieser nach Belieben zu gewissen Zeiten für seine Machenschaften einsetzte.

Da nur sehr mächtige Schwarzmagier und Dämonen für kurze Zeit zu diesem finsteren Zau­ber fähig waren und außerdem wohl nur bestimmte Zielpersonen die charakterlich-seelischen Voraus­setzungen für diese schreckliche magische Beses­senheit erfüllten, glaubte ich nicht, dass ich Opfer eines solchen Angriffs wurde. Gewisse Träume oder selt­same Empfindungen, so hatte Tyrbalt mir erzählt, deuteten jedoch darauf hin, dass ein sol­cher Angriff der Besitzergreifung auf einen Men­schen durchgeführt wurde, mochte der Ver­such auch letztlich ohne Erfolg geblieben sein. Außer­dem konnten Menschen mit gewisser magischer Veranlagung das Wirken der Schwarzen Magie in ihrer Umgebung spüren und je nach Ausprägung der Begabung mehr oder weniger genau und deut­lich wahrnehmen.

Da der alte Zauberer inzwischen schon eine Weile dem Hofe fern war, konnte ich ihn nicht um Hilfe bitten, meinen neuen Verdacht genauer zu untersuchen, als meine unheimlichen Träume und Wahrnehmungen in dieser Hinsicht immer häufiger und immer stärker wur­den. Eines Nachts erfuhr ich hingegen selbst mehr über derartige Vorgänge im Palast.

 

Ich hatte mich nach einem abendlichen Festbankett im großen Speisesaal so früh zurück­gezogen, wie es das Protokoll überhaupt erlaubte, ohne dass ich dadurch hohe Gäste be­leidigte. Eigentlich war ich sehr erschöpft von den lästigen Verpflichtungen das Tages und wollte mich bald zu Bett begeben. Jedoch fiel mir plötzlich noch eine wichtige recht­liche Frage ein, die es für einige bürokratischen Entscheidungen des nächsten Tages zu klären galt, um mich in diesen Angelegenheiten nicht völlig blind auf meine Hofbeamten verlas­sen zu müssen. Deshalb wollte ich zu später Stunde unbedingt noch etwas in der neuen Bibliothek nachschlagen, da am nächsten Morgen wohl nicht genug Zeit da­für blieb und ich mich in diesem Falle nicht auf­grund von Unwissenheit einem möglichen falschen Urteil der Berater ausliefern wollte.

Ich hatte einige Zeit lang gesucht und gelesen und mich schließlich länger in den Paragra­phen und Erläuterungen verloren, als eigentlich geplant, als ich plötzlich leise Schritte auf dem Gang vor der Bibliothek und schließlich das Knarren der Tür hörte. Da ich nicht die geringste Lust verspürte, hier nach Einbruch der Nacht angetroffen und wo­möglich in eine lästigen Konversation mit einem Beamten verstrickt zu werden, huschte ich schnell durch einen schmalen Gang und in eine dunkle Ecke hinter einige Regale, wo man mich nicht se­hen sollte.

Aus den Schatten beobachtete ich, wie Hofmar­schall Kadrox im Halbdunkel langsam zu einem Regal ging und ein großes altes Buch heraus nahm. Dieses legte er jedoch beisei­te, um in die entstan­dene Lücke hinein zu greifen. Dahinter musste sich ein geheimes Fach befinden, denn Kadrox holte einen langen dunklen Gegenstand heraus, den ich zu­nächst nicht richtig erkennen konnte. Dann ging der Hofmarschall wie in Trance in die Mit­te des Raumes und kniete nieder.

Kadrox gab wispernde Laute von sich, bei de­nen es sich um zauberische Worte einer un­heimlichen fremden Sprache handeln mochte. Im fahlen Licht der Öllampen erkannte ich, dass er einen schwarzen Dolch mit beiden Händen vor seine Brust streckte. Dann war die dunkle Anrufung of­fenbar erfolgreich und eine silbern glänzende Ge­stalt erschien im Raum.

Die Zeit ist reif“, sprach der Dämon mit zi­schender bösartiger Stimme. „Bald darfst du dei­nen magischen Dolch gebrauchen, um all deine Feinde zu vernichten.“

Ich danke Euch, Argrath“, sagte Kadrox mo­noton. „Dann wird endlich wieder Ordnung in At­lantis herrschen.“

Danke nicht mir“, entgegnete das Unwesen. „Du hättest mich nie beschwören können. Wir die­nen beide dem allmächtigen Meister. Alazar wird dich an seiner Allmacht teilhaben lassen, wenn du ihm deine Seele völlig auslieferst.“

Jawohl, Dämon“, sagte Kadrox. „Ich bin be­reit. Es ist mir die größte Ehre eine Waffe in der Hand des allmächtigen Meisters zu sein.“

Gut“, sagte der Dämon Argrath. Er legte eine schlanke Hand auf die Stirn des Höflings und ein silbernes blitzendes Knistern durchzog den ganzen Körper des Mannes. Alle Öl­lampen erloschen, während sich ein Gestank nach Metall und Schwe­fel in der Bibliothek ausbreitete. Von dem schwar­zen Dolch ging eine silberne Strahlung aus und Kadrox beug­te sich hinab zu Füßen des Dämons, der ihn mit seiner irren bösartigen Fratze anstarrte und seine Krallen auf ihn richtete. Dann waren die dämonischen und magischen Erschei­nungen ur­plötzlich wieder verschwunden und die Öllampen leuchteten wieder.

Kadrox erhob sich langsam und verstaute den schwarzen Dolch in seinem Gewand. Er stellte das große Buch zurück an seinen Platz und verließ mit finsterem starren Blick den Raum.

 

 

 

 

 

15. Kapitel: Der Feldzug

 

 

 

In den ersten Dörfern und Ansiedlungen, auf die wir stießen, schlachteten wir alle Bewoh­ner erbar­mungslos ab. Schließlich konnte man das Bauern­gesocks kaum effektiv als Ar­beitssklaven gebrau­chen oder als Soldaten einsetzen. Sie wären uns le­bend nur lästig ge­wesen bei der Kontrolle der Län­dereien und auf dem weiteren Weg nach Atlantium. Um die Dämonen und die anderen Unwesen zu motivieren und ihren Kampfgeist und ihren Blut­rausch weiter anzustacheln, erlaubte die Führung ihnen, die Menschen einige Stunden lang bestia­lisch zu Tode zu foltern und schließlich alle zu zer­fleischen und aufzufressen. Daraufhin zogen wir mit dreitausend Totenschädeln auf den Speeren weiter und jeder, dem wir begegneten oder der Spuren unseres Feldzuges erblickte, wusste sofort, dass die Armee des Wüsten Landes nur Grauen und Verderben brachte, wie sie Atlantis seit Jahr­tausenden nicht gesehen hatte.

 

 

* * *

 

 

Mir blieb kaum Zeit, mir den Kopf darüber zu zer­brechen, wie ich mit der grauenhaften Entdeckung über Hofmarschall Kadrox umgehen sollte, der öf­fentlich keinerlei Verände­rung in seinem Verhalten zeigte, denn wenige Wochen, nachdem ich das un­heimliche Ge­schehen in der neuen Bibliothek be­obachtet hatte, stand die Armee des Wüsten Landes vor den Toren von Atlantium.

Das Kriegshandwerk leiteten die Generäle und ich brauchte lediglich formal meine Zustim­mung zu den grundsätzlichen Entscheidungen der Mili­tärstrategen zu geben. General Sa­balan, der das Oberkommando über unsere Truppen hatte, ließ die Tore und Mauern des Stadtkerns verstärkt be­festigen und mit zusätzlichen Wachsoldaten beset­zen, sobald uns die Nachricht vom Herannahen der feindlichen Truppen erreichte. Als diese eintrafen und einige Kilometer vor der Stadt ein riesiges Mi­litärlager aufschlugen, wurde deutlich, dass sie uns entweder mit ihrer schieren Übermacht überrennen und in wenigen Tagen besie­gen oder uns einfach belagern und grausam aushungern konnten.

Sabalan hielt deshalb Angriff für die beste Ver­teidigung. Da etwa fünfzigtausend Feinde vor un­seren Toren lagen und niemand einschätzen konn­te, wie viele noch im Wüsten Land weilen und nachrücken mochten, wollte der General möglichst schnell angreifen und eine Schlacht im offenen Felde vor der Stadt herbeiführen. Er schickte zehn­tausend Soldaten zu einem ersten Ausfall los, etwa ein Drittel der gesamten Truppen von Atlantium. Ein paar Stunden später kehrten nur wenige Dut­zend Männer zurück, um von einem unvorstellba­ren Grauen zu berichten. Die Hälfte der Soldaten war brutal abgeschlachtet worden und die andere Hälfte war in Gefangenschaft der Feinde.

Unsere Magier entnahmen den Berichten der schockierten Soldaten, dass in den feindli­chen Rei­hen zahlreiche grauenhafte Unwesen und Dämo­nen waren, gegen die Menschen fast nichts aus­richten konnten. Außerdem befürchteten sie, dass mächtige Schwarzmagier die gefangenen Atlantier zu willenlosen Zombiekriegern umformen wollten, um diese dann nach Belieben zu gebrauchen. Ge­wöhnliche Formen der Kriegsführung waren hier völlig aussichtslos. Wir sahen dem absoluten Un­tergang von Atlantis hilflos entgegen.

 

Im Königlichen Rat, der die furchtbare Bedrohung erörterte, machte Hofmarschall Kadrox den Vor­schlag, mit den Feinden zu verhandeln und ihnen eine Kapitulation anzubieten, um Atlantium vor der Zerstörung und die Menschen von Atlantis vor dem Tod oder der Um­wandlung in Zombiesklaven zu bewahren. Dem stimmten schließlich alle Rats­mitglieder schweren Herzens zu, um zu retten, was angesichts der schrecklichen Lage vielleicht noch zu retten war.

Flankiert von General Sabalan und Kadrox empfing ich also die Gesandtschaft der Feinde. Es kamen ein sehr junger und drei ältere Männer in schwarzen Umhängen sowie ein rot­braunes Hy­bridwesen in den Thronsaal. Es war das erste Mal, dass ich einem Vertreter des Wilden Volkes begeg­nete, der offenbar der Rasse der Füchse angehörte, wie sein wil­des rotes Antlitz zeigte. Die Ankömm­linge schienen keinen weiteren Schutz durch ihre Truppen zu benötigen, obwohl es sich bei ihnen tatsächlich um die Führung der Armee des Wüsten Landes handeln sollte. Zu fünft schritten sie arro­gant an den langen Reihen meiner Leibwache vor­bei und stellten sich in unverschämter Haltung vor den Obsidian­thron.

Seid willkommen im Herzen von Atlantis“, sagte ich förmlich. „Ich hoffe, wir können in die­ser schweren Lage eine friedliche Lösung für unsere Völker erreichen.“

Seid gegrüßt, Königin Sydyana“, sagte der jüngste der Schwarzmagier. „Ich bin Meister An­dron. Wir haben vernommen, dass Ihr uns die be­dingungslose Kapitulation anbieten wollt, Eure Hoheit.“

Ich merkte, dass es keinen Sinn hatte, zu versu­chen, bessere Bedingungen für Atlantis heraus zu handeln, denn letztlich waren wir den dunklen Mächten der Feinde völlig wehr­los ausgeliefert. Kadrox und Sabalan nickten mir ernst und finster zu und somit bestätigte ich den Anspruch der Er­oberer.

Der Königliche Rat von Atlantis hat entschie­den“, erklärte ich. „Wir begeben uns ganz in die Obhut und die Gnade Eurer großen Macht aus dem Wüsten Land.“

 

 

 

 

 

16. Kapitel: Gastfreundschaft

 

 

 

Die Gefährten um Pandorax waren nur noch weni­ge Stunden Fußmarsch von der Festung des Alazar im Zentrum des Wüsten Landes entfernt. Da be­merkten sie plötzlich, dass sich die graue Erde um sie herum bewegte. Der Erdboden brach an mehre­ren Stellen auf und abscheuliche dämonische Ge­stalten kamen herauf. Sie hatten silbern glänzende mensch­lichen Körper, waren aber mit langen stäh­lernen Krallen ausgestattet und fauchten die Men­schen böse aus bestialischen Gesichtern mit Fang­mäulern an, die Reihen langer und spitzer Metall­zähne entblößten.

Das sind ganz besondere Dämonen“, bemerk­te Pandorax, als die Unwesen seine Gruppe ein­kreisten und bedrohlich näher rückten. „Ulangarth, kannst du deine sympathischen Ver­wandten hier vielleicht besänftigen?“

Sie stehen in Diensten von Alazar“, entgegne­te der dämonische Gefährte. „Und diese sind be­sonders zudringlich. Vermutlich geben sie keine Ruhe, bis sie uns zerfetzt und zer­fleischt haben.“

Dann kommt es wohl nicht zu einer gütlichen Einigung“, sagte Zayandra sarkastisch.

Dann kämpfen wir!“, rief Felarion entschlos­sen und zog seine Schwerter. „Und sei es bis zum bitteren Ende!“

Die Gefährten formierten sich im Kreis und machten sich zur Abwehr der Dämonenunwe­sen bereit. Doch zu ihrer Überraschung hielten die Ge­stalten etwas Abstand und lauerten wie Raubtiere mit feuerroten glühenden Augen.

Herzlich Willkommen im Reich des allmäch­tigen Alazar!“, war plötzlich eine metallene und bösartige Stimme zu vernehmen, die wie aus dem Nichts erschallte. Dann erschien ein schlanker, ele­ganter Dämon, der eher Ulangarth als den umste­henden Ausgeburten des Bösen glich.

Sei gegrüßt, Argrath“, sagte Ulangarth zu sei­nem Artgenossen. „So stehst du also auch in Diensten dieses Unholdes.“

Jawohl“, sagte der andere Dämon. „Und damit stehe ich auf Seiten der Allmacht, die mit dem Dä­monenauge bald das Multiversum beherrscht.“

Es wird sich noch herausstellen“, erwiderte Ulangarth, „wer letztlich den Sieg davon trägt. Freue dich nicht zu früh!“

Argrath erhob wie beiläufig die Hand und dar­aufhin erschienen Legionen von Unwesen und An­gehörigen des Wilden Volkes von allen Seiten.

Ihr habt die Wahl“, sagte der mächtige Dämon spöttisch. „Entweder spielen wir etwas mit euch und haben dabei ein höllisches Vergnügen, oder aber ihr seid friedlich und folgt so­gleich der vor­trefflichen Gastfreundschaft meines allmächtigen Meisters.“

Ich denke“, sagte Pandorax, „wir ziehen die zweite deiner freundlichen Alternativen vor.“

Eine sehr weise Entscheidung“, sagte Argrath höhnisch.

 

Die Gefährten wurden von den Unwesen zur schwarzen Festung geführt. Dabei bemerk­ten sie erstaunt, dass die Landschaft im Zentrum des Wüs­ten Landes ganz anders war, als auf ihrer bisheri­gen Reise. Hier wuchsen riesige dunkle Bäume mit umfangreichen schwarzen Baumstämmen aus der Erde. Lange monströse Schlingpflanzen erhoben sich aus grauem Staub und schnappten mit ent­arteten giftgrünen Mäulern nach den Wande­rern. Seltsame spitze Felsen gab es hier ebenso wie Vulkangestein, brodelnde dampfende Sümpfe und gleißende rote Lavaflüsse. Ein Durchqueren dieser fremdartigen, äußerst feindseligen Landschaft er­schien eigentlich unmöglich, doch alle Pflanzen und Felsen und selbst die dicke und stinkende Luft lebten hier auf abscheuliche Weise und wurden von der Schwarzen Magie des Dämonenauges genährt und beherrscht. Deshalb durften die Unwesen und ihre unfreiwilligen Gäste die abstoßende Gegend passieren und sich der gi­gantischen dunklen Fes­tung des bösen Schwarzmagiers Alazar nähern.

Jetzt habt ihr das Vergnügen, mit unseren Fol­terverliesen Bekanntschaft zu machen“, sagte Ar­grath, als die Gruppe durch ein großes steinernes Tor eintrat. „Alazar wird dann entscheiden, ob er euch durch den Tod erlöst oder was er sonst mit euch machen will.“

Dämonen ergriffen die Gefährten und legten ihnen magisch gestärkte schwere Eisenket­ten an Hände, Füße und Hälse. Sie zogen sie hinter sich her eine Wendeltreppe hinab, die viele hundert Me­ter tief in die Erde führte. An den Seiten sahen sie manchmal in Räume, in denen gefangene Men­schen von Dämonen oder garstigen Zwergen mit Feuer und stäh­lernen Werkzeugen auf alle erdenk­lichen Weisen gefoltert wurden. Auch blickten sie bei ihrem Abstieg in Kammern, in denen wilde Un­wesen die Überreste von zu Tode gefolterten Men­schen gierig verschlangen, indem sie grunzend und sabbernd ihre Raubtierzähne in das blutige Fleisch schlugen, laut knirschend und knackend die Kno­chen zerbissen und die Gliedmaßen und gemarter­ten Schädel auf widerliche Weise abnagten, sich ekelhaft schmatzend die ganzen zerfetzten Körper mitsamt der stinkenden Gedärme der Opfer ein­verleibten. Die Wendeltreppe und die gesamten Fol­terverliese waren von einem abscheuli­chen Ge­stank nach Blut, Exkrementen, heißem Metall, ver­branntem Fleisch und Schwe­feldampf erfüllt, der die Ankömmlinge fast betäubte und erstickte. Ir­gendwann stießen die Dämonen ihre neuen Gefan­genen brutal in enge steinerne Zellen, in denen ab­solute Dun­kelheit herrschte.

 

 

 

 

 

17. Kapitel: Hochzeit

 

 

 

Da wir uns freiwillig unterworfen hatten, verzich­teten die Eroberer vorerst darauf, Atlantium dem Erdboden gleich zu machen und die Bevölkerung abzuschlachten oder in Zombies­klaven umzuwan­deln. Die Feinde machten sich sogar einen perfiden Spaß daraus, den Königlichen Rat formal in seiner Funktion zu belassen. Dabei lenkten sie mich als Königin ebenso wie Kadrox, Sabalan, Vertigor und alle anderen Ratsmitglieder wie ihre Marionet­ten. In Wirklichkeit hatten der junge Schwarzmagier Andron, die drei weiteren Schwarz­künstler und der alte Fuchsschamane Oborion die Macht in Atlantis übernommen und konnten Schalten und Walten wie es ihnen gefiel. Ich vermutete allerdings, dass eine noch größere und schrecklichere Macht im Wüsten Land existierte, deren Vasallen diese fünf waren und deren Pläne man kaum erahnen konnte. Vermutlich warteten auch Andron und seine Leute auf weiteren Befehl von dieser dunklen Macht.

 

 

* * *

 

 

Mein allmächtiger Meister Alazar erschien in Be­gleitung des Dämons Argrath zur Morgen­stunde in Atlantium. Der Einzug seiner düsteren Majestät in die Stadt und in den Königs­palast wurde von unse­rer Armee mit frenetischen wilden Jubelgesängen gefeiert. Auch für die Bevölkerung von Atlantium wurde angeordnet, ihren neuen Herrscher freudig zu begrü­ßen und als Gottheit anzubeten. Als unser Meister den Thronsaal betrat, wussten Königin Sy­dyana und ihre Höflinge sofort intuitiv, dass sie sich vor ihm demütig auf den Boden zu werfen hatten. Alazar schwebte langsam durch den Saal und setzte sich verächtlich auf den Obsidianthron.

Ihr dürft euch erheben“, sprach er und die At­lantier richteten sich ehrerbietig auf und tra­ten mit gesenkten Häuptern vor ihren neuen Gott hin, wäh­rend wir als Gefolge des Alazar zu beiden Seiten des Thrones standen. „Schmeißfliegen von Atlan­tis! Hört meinen Befehl: Meister Andron wird mein Stadthalter von Atlantium. Ich war sehr er­freut zu hören, dass ihr euch meiner unendlichen Macht freiwillig unterworfen habt, um euch meiner unbesiegba­ren Streitmacht anzuschließen. Für die­se Klugheit und diesen Treuebeweis gegenüber eu­rem allmächtigen Gott will ich euch belohnen. Wie ich sehe, ist die Königin ein hübsches junges Mäd­chen. Somit belohne ich zugleich den neuen Stadt­halter und das uralte Volk von Atlantis, indem ich die Vermählung von Andron und Sydyana verkün­de.“

In dem gleichen Thronsaal, in welchem ich vor gar nicht langer Zeit ihren Vorgänger ge­schlachtet hatte, um die Entwicklungen in Atlantis für meinen Meister in die richtigen Bah­nen zu lenken, sollte ich die junge Königin heiraten. Damit wurde Ala­zars Herrschaft in je­der Hinsicht bestätigt und für immer festgeschrieben. Und ich wurde sein Stadt­halter und der Regent von Atlantis. Damit war ich nach Alazar der mächtigste Mensch auf Erden. Als Auserwählter des allmächtigen Meisters sollte ich mehr als jeder andere an seiner Welt­herrschaft und bald an seiner ewigen Herrschaft des ganzen Mul­tiversums teilhaben. Un­endliche dunkle Freude stieg in mir auf und mich durchströmte ein gren­zenloser Machtrausch.

 

 

* * *

 

 

Niemals erfuhr ich eine derartige Manifestation des absoluten Bösen. Der Schwarzmagier Alazar und der widerliche Dämon Argrath verbreiteten eine niederschmetternde Atmosphä­re von abgrundtie­fem Hass und perfider Bösartigkeit. Vor allem aber umgab sie eine Aura von blindwütiger todbringen­der Macht. Ich wusste, dass unsere Kapitulation nur einen sinnlosen Aufschub bedeutete, der den Untergang und die Vernichtung von Atlantis und vermutlich der ganzen Welt nur um so schreckli­cher machte. Dieser finstere Todestrieb, den ich in den giftgrünen Augen im fahlen Antlitz unter der schwarzen Kapuze von Alazar gewahrte, würde sich bald gegen alles Lebendige richten. Genauso bedrohlich und abscheulich wirkte auf mich der silbern glänzende Dämon Argrath, den ich schon einmal im Halbdunkel der Bibliothek mit Kadrox gesehen hatte. In seiner vollen Erscheinung im hel­len Thronsaal konnte ich ihn jedoch genauer be­trachten und es schien mir, dass er hier seine ganze fremdartige Eleganz und dämonische Bosheit zur Geltung brachte, die in ihrer seltsamen Ausstrah­lung von übermenschlicher Intelligenz und myste­riöser Schönheit auf unerklärliche Weise unendlich viel erschreckender wirkten, als eine ganze Armee von bestialischen Unwesen.

Alazar ließ sich als dunkler Gott verehren und als solcher setzte er sogleich den Schwarz­magier Andron als seinen Stadthalter von Atlantis ein und verkündete meine Hochzeit mit seinem skrupello­sen Gefolgsmann. Wir traten auf seinen Wink hin beide vor den Obsidian­thron und fassten uns bei den Händen. Er berührte unser beider Hände kurz mit seiner rechten knochigen Kralle. Dabei durch­fuhr mich eine frostige Kälte und ein schwarzmagi­sches Knistern, sodass ich nur noch unter größter Willensanstrengung gute Miene zum bösen Spiel machen konnte und fast vor Angst und Schmerz zusammengebrochen wäre.

Hiermit sei der Hochzeitsakt vollbracht“, sprach Alazar finster und wechselte einen kurzen Blick mit dem höhnisch grinsenden Argrath. „Die Feierlichkeiten zu Ehren des jungen Kö­nigspaares und zu Ehren eures allmächtigen Gottes werden sieben Tage dauern. Für je­den Tag der Feier sind hundert öffentliche Menschenopfer vor dem Palast darzubringen. Der Königliche Rat wird beauftragt, alles zu gestalten sowie auszuwählen, welchen Unter­tanen die besondere Ehre zukommt, sich für die­sen hohen Zweck zu opfern. Heil der all­mächtigen bösen Urkraft!“

So wurde ich auf lieblose Weise vermählt und so begann die grausame Schreckensherr­schaft in Atlantis.

 

 

 

 

 

18. Kapitel: In den Verliesen

 

 

 

Adebar wusste nicht, wie lange er bereits in den Folterverliesen von Alazar gefangen war. Es moch­ten Tagen oder Wochen gewesen sein, in denen er den bestialischen Gestank er­tragen musste und im­mer wieder grelle Schmerzensschreie aus den um­liegenden Gängen des Foltergefängnisses hörte. Besonders litt er jedoch an der bodenlosen Dunkel­heit und an der Einsamkeit in der engen Einzelzel­le. Er war an Ketten gefesselt, die tief in die Knö­chel seiner Hand- und Fußgelenke sowie in seinen Hals hinein schnitten, sobald er sich regte. Und selbst dann konnte er sich nur wenige Zentimeter in alle Richtungen bewegen, bis er an die Stein­wände stieß. Er konnte sich wegen der tiefen De­cke der Zelle nicht ganz aufrichten und sich auch kaum auf dem harten kalten Boden zusammen krümmen, um un­ruhigen und von grässlichen Alp­träumen geplagten Schlaf zu finden. Selbst wenn ihm ge­legentlich durch einen kleinen Spalt unten in der Tür eine Schüssel mit verfaultem Wasser hinein geschoben wurde oder er auf diesem Wege stinkende Essensrationen erhielt, in de­nen er ver­weste und verschimmelte Fleischabfälle vermutete, fiel kein Lichtstrahl in die Zelle. Er musste sich den widerlichen Fraß ertasten und ihn angeekelt in der Finsternis verspeisen, um nicht zu verhungern.

Irgendwann hatte der junge Zauberer jedes Ge­fühl für Raum und Zeit verloren und sehnte sich fast schon danach, von den Dämonen gefoltert zu werden, um eine Abwechslung zu erleben, die ihm zeigte, dass er und andere Lebewesen überhaupt noch existierten. Jede Hoffnung zu entkommen hatte er längst aufgegeben und er befürchtete, je­den Augenblick endgültig sein Bewusstsein und seinen Verstand zu verlieren. Schließlich wünschte er sich nur noch den Tod, um von seinem unsagba­ren Leid erlöst zu werden. Er fand jedoch nicht mehr die Kraft, sich etwa mit seinen Ketten oder durch ein Zertrümmern seines Schädels an den Steinwänden selbst zu richten. Vielmehr wurde er doch immer wieder von einem dumpfen unbewuss­ten Lebenstrieb dazu gedrängt, wie ein Tier zu überleben und ekelhaf­te Speisen zu sich zu neh­men.

 

Irgendwann wurde Adebar plötzlich aus dem Halb­schlaf gerissen, als sich die Tür der Zelle öffnete.

Hier ist noch einer“, zischte eine bösartige Stimme. „Den nehme ich mir vor!

Dann verspürte Adebar harte Stockhiebe. Es fiel etwas Licht in den Raum, sodass seine Augen sich langsam daran gewöhnten, bis er sehen konn­te, wer da eingetreten war und auf ihn einschlug. Bald erkannte er einen großen widerlichen Schlan­genkopf über sich und wusste, dass er einem ganz besonders entarteten und bösartigen Angehörigen des Wilden Volkes ausgeliefert war.

Erst klopf ich dich zurecht“, zischte der Schlangenmensch, „und breche dir alle Knochen im Leib! Dann schlag ich dir meine Zähne in den Hals und pumpe mein Gift in dich rein, um dich zu lähmen und bei lebendigem Leibe genüsslich zu verschlingen!

Adebar hatte keine Kraft, auch nur an den Ein­satz irgendeiner Zauberei zu denken. Er konnte nur verzweifelt die Arme vor das Gesicht und den Kör­per halten, als die harten Schläge auf ihn nieder­gingen. Der Schlangenmensch war einen Kopf grö­ßer als Adebar und mit geradezu stählernen Mus­keln ausgestattet, sodass er dem Opfer jederzeit den To­desstoß versetzen konnte. Der Hybride woll­te sich jedoch noch etwas an dem Leiden des jun­gen Gefangenen erfreuen und sein grausames Spiel mit ihm treiben, bevor er lustvoll tötete.

Plötzlich waren laute Schreie und wilde Kampfgeräusche aus dem angrenzenden Gang zu hören und der Schlangenmensch wendete sich um. In diesem Augenblick zischte eine Schwertklinge durch die Luft und trennte blitzschnell den ekelhaf­ten Schlangenkopf von seinen Schultern. Der Kopf fiel krachend zu Boden und sein mächtiger Körper folgte ihm, während der Schwertmeister Felarion mit von Schlangenblut benetztem wütenden Ge­sicht in die Zelle hineinschaute.

Der Junge ist hier!“, konnte Adebar ihn wie aus weiter Ferne rufen hören. Dann sank er wieder in bodenlose Schwärze hinab.

 

Der alte Zauberer Tyrbalt hatte tagelang in seiner Zelle meditiert und seine magischen Kräfte gesam­melt. Schließlich konnte er wahrnehmen, dass der Schwarzmagier Alazar und der mächtige Dämon Argrath sich mitsamt dem Dämonenauge von ihrer dunklen Fes­tung im Wüsten Land entfernt hatten. Tyrbalt sah den richtigen Zeitpunkt gekommen, um sich zu befreien und die Gefährten zu suchen. Er wirkte zauberisch auf seine Ketten ein und öffnete diese ebenso wie die Zellentür. In einer nahe gele­genen Zelle fand er den Schwarzmagier Pandorax.

Dessen Gefängnis war mit einem besonderen schwarzmagischen Bann belegt, sodass er sich nicht selbst befreien konnte. Denn Alazar kannte seinen alten Erzfeind und wollte ihn keinesfalls entkommen lassen, bis er sich ihm nach wichtige­ren Angelegenheiten ausführ­lich würde zuwenden können. Deshalb konnte Pandorax nicht allein aus der Zelle fliehen. Alazar und seine Schergen hatten jedoch die Fähigkeiten des Tyrbalt weit unter­schätzt und bei ihm weniger Vorsicht walten las­sen. Er löste den Zauberbann, öffnete die Tür und befreite Pandorax von seinen Ketten.

Daraufhin schritten die beiden Magier zunächst durch einige leere Kerkergänge, bis sie in einem anderen Bereich bald Anzeichen der weiteren Ge­fährten entdeckten. Dort zog gera­de eine Horde von hybriden Schlangenmenschen umher und suchte in den Zellen nach Opfern, die sie grausam quälen und verschlingen wollten. Tyrbalt und Pan­dorax fanden und befreiten nach und nach die an­deren Gefährten und gemeinsam kämpften sie sich ih­ren Weg durch die Gänge, indem sie Dutzende von Schlangenkriegern abschlachteten. Das sprit­zende giftgrüne Blut, die abgetrennten widerlichen Schlangenköpfe und die un­zähligen zerfetzten und zerhackten Gliedmaßen der Unwesen klebten bald überall an den Wänden und bedeckten haufenweise den Boden der Gänge. Zuletzt erreichten sie auch die Zelle, in der Adebar sieben Wochen lang gefan­gen war, und konnten ihn in letzter Se­kunde retten.

 

Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Felarion, der das giftgrüne Schlangenblut von seinen Schwertern ab­wischte. „Wir sind immer noch tief unter der Erd­oberfläche und über uns sind noch Abertausende von Feinden.“

Dann können wir uns vielleicht noch ein paar Stunden mit ihnen vergnügen, bis wir drau­ßen sind“, höhnte der Dämon Ulangarth, während er einen letzten zuckenden Schlangen­kopf mit seinen schlanken silbernen Fingern zerquetschte und die toten Überreste beiseite warf.

Tyrbalt und Zayandra versorgten indessen mit ihrer Magie die gefährlichsten Wunden des be­wusstlosen Adebar.

Er wird durchkommen“, sagte die Waldzaube­rin. „Er hat ein paar schlimme Knochenbrü­che, Fleischwunden und schwere Prellungen davonge­tragen. Und außerdem ist er fast verhungert und verdurstet. Aber die zauberischen Heilkräfte wir­ken sehr schnell bei ihm. Jetzt muss er nur noch ausschlafen und in den nächsten Tagen wieder richtig essen und trinken.“

So ist es“, bestätigte Tyrbalt nickend. „Für ihn war die Gefangenschaft sicherlich am schwersten zu ertragen. Aber er wird sich erholen.“

Vorausgesetzt“, sagte Felarion, „dass wir hier irgendwie herauskommen, wenn ich an un­sere nicht ganz vorteilhafte Lage erinnern darf. Wie stellt ihr euch das vor?“

Nur Geduld, Schwertmeister“, sprach Pan­dorax. „Du wirst es gleich sehen. Wir brauchen uns nicht stundenlang wie verrückt durch die Legionen des Wüsten Landes zu kämpfen. Auch wenn es un­seren dämonischen Freund hier vielleicht danach gelüstet, wäre das selbst für ihn etwas zu viel, zu­mal auch einige seiner freundlichen Artgenossen dort oben lauern. Wir brauchen kein weiteres bar­barisches Gemetzel. Jedenfalls nicht heute.“

Daraufhin nahm der Schwarzmagier eine medi­tative Haltung ein, wisperte einen Zauber­spruch und formte mit seinen Händen zunächst kleinere und dann immer größer werdende Kreise in der Luft. Silbern und violett leuchtende Wirbel ent­standen, als Pandorax einen magischen Tunnel öff­nete. Der Durchgang hatte gerade die richtige Grö­ße für einen Mensch erreicht, als in den Folterver­liesen das wilde Heranstürmen unzähliger weiterer Feinde zu vernehmen war.

Schreitet hindurch!“, rief Pandorax und die Gefährten setzten sich in Bewegung. Tyrbalt und Felarion betraten mit dem ohnmächtigen Adebar im Schlepptau den Tunnel. Dann folgten Zayandra und Ulangarth, bevor Pandorax selbst hindurch huschte. Der magische Tunnel schloss sich wieder und im selben Moment, als die Öffnung ver­schwand, prallten an ihrer Stelle stählerne Krallen und spitze Fangzähne aufeinander.

 

 

 

 

 

19. Kapitel: Im Zauberspiegel

 

 

 

Nach der Machtergreifung durch Alazar in Atlantis und meiner Vermählung mit Andron ver­brachte ich die meiste Zeit in meinen Privatgemächern. Dort wurde ich von zwei Kammer­zofen betreut, wäh­rend ständig mehrere Soldaten an den Türen und auf den Gängen vor meinen Räumen Wache stan­den. Diese Zeiten der Einsamkeit wurden nur von den gele­gentlichen Sitzungen des Königlichen Rats unterbrochen, bei denen hoheitliche Beschlüs­se ge­fasst wurden, die jedoch allesamt von Stadthalter Andron oder anderen Vertretern von Alazar vorge­geben wurden. Einige der Ratsmitglieder, drunter Hofmarschall Kadrox, störten sich kaum an den neuen Machtstrukturen und den Anweisungen zum Schaden der Bevölkerung. Sie gingen ihren Aufga­ben sogar noch eifriger als früher nach, um sich ih­ren neuen Herrschern anzudienen. Offenbar hoff­ten sie darauf, bevorzugt zu werden und sich ange­sichts der neuen Verhältnissen persönliche Vorteile zu verschaffen. Wenn ich das ganze Ausmaß der Unterdrückung und der Gräueltaten in der Stadt auch nicht selbst be­obachtete, so erfuhr ich doch einiges bei den Ratssitzungen und bei weiteren Kontakten mit den Hofbeamten oder der Diener­schaft. Deshalb konnte ich erahnen, welche Schre­cken das Volk von Atlantis erleiden musste und verspürte von Tag zu Tag immer größere Verzweif­lung.

 

 

* * *

 

 

Mein allmächtiger Meister Alazar betrachtete seine Herrschaft über Atlantis und seinen weiteren ge­planten Kriegszug über die sterbende Erde ledig­lich als eine kurze Zwischen­stufe und einen klei­nen Vorgeschmack auf seine kommende Allmacht über das gesamte Multiversum durch das Dämo­nenauge. Deshalb gab es für mich auch keinerlei Notwendig­keit, meine Ehe mit der Königin körper­lich zu vollziehen, um die machtpolitische Verbin­dung durch die Zeugung eines gemeinsamen Erben zu festigen und für die Zukunft zu si­chern. Ich be­achtete Sydyana kaum und begegnete ihr nur gele­gentlich im Königlichen Rat oder zum Zwecke an­derer politischer Angelegenheiten, da ich als Stadt­halter wichtige­res zu tun hatte. Mein Hauptquartier ließ ich in einem Flügel des Palastes einrichten, des­sen Säle bereits zuvor der militärischen Planung und geheimen Strategieentwicklung dienten. Dort residierte ich zusammen mit Oborion und weiteren hochrangigen Gefolgsleu­ten meines allmächtigen Meisters, um die Herrschaft über das Reich mit ei­serner Faust auszuüben und den weiteren Feldzug in alle anderen Weltgegenden effektiv vorzuberei­ten. Denn wir wollten eine Armee von ungeheurer Schlagkraft aussenden und alle Länder der Erde in einem großartigen Siegesrausch unterwerfen.

 

 

* * *

 

 

Das Anwesen des Pandorax lag in einem versteck­ten Tal an einem dunklen See irgendwo in den nördlichen Weiten von Atlantis. Der magische Tunnel öffnete sich davor und die er­schöpften Gefährten traten heraus in eine kalte Winternacht. Sie begaben sich in das ver­schneite Gebäude, um zunächst ihre Wunden zu versorgen, sich zu erfrischen und sich von ihrer wochenlangen Gefan­genschaft im Wüsten Land zu erholen. Adebar er­wachte ir­gendwann in einem Schlafgemach und war dank der Heilzauber von Tyrbalt und Zayandra bald wieder genesen.

Später saßen sie zusammen im Turmgemach und der Schwarzmagier enthüllte einen ma­gischen Spiegel, um Erkundigungen aus Atlantium einzu­holen.

Wird dies nicht genauso enden wie mit den Untoten auf dem Friedhof?“, fragte Felarion miss­trauisch, als er sich an den Einsatz der Kristallku­gel und die dramatischen Folgen er­innerte.

Diesmal habe ich besser vorgesorgt“, versi­cherte Pandorax. „Mein Anwesen ist mit einem starken Zauber vor Entdeckung geschützt. Außer­dem werden wir nur einen vorsichtigen Blick auf die Hauptstadt werfen. Dabei dient uns ein Rabe als weiterreichende Augen und Ohren.“

Der Schwarzmagier erweckte den magischen Spiegel mit einem Wink zum Leben und die Ge­fährten schauten neugierig hinein. Sie sahen zuerst die schneebedeckte Landschaft vor Atlantium von oben aus der Sicht eines Raben, der darüber hin­weg flog. Dort hatten die grauenhaften Truppen des Alazar riesige Feldlager aufgeschlagen. Dann erblickten sie die Mauern, die Dächer und die Stra­ßen der Hauptstadt durch die Augen des Vogels. Dabei mussten sie erkennen, dass viele der alten Häuser abgerissen und abgebrannt worden waren und in Schutt und Asche lagen. Außerdem hatte man an ihrer Stelle vielerorts Hee­reslager und Mi­litärgebäude sowie große dunkle Werkhallen er­richtet. Überall vor den Hal­len und an den Straßen brannten Feuer und aus den Schornsteinen der Ge­bäude stieg dichter schwarzer Rauch in die trübe Luft auf. Dämonen und Soldaten des Wilden Vol­kes trieben die Menschen mit langen Speeren und knallenden Peitschen brutal zur Arbeit an. Diese bestand im Wesentlichen darin, alle möglichen Ar­ten von Waffen und Werkzeugen aus Metall zu schmieden und auf Wagen zwischen den Ferti­gungsstätten und Lagerhallen hin und her zu trans­portieren.

Offensichtlich ist das Reich bereits erobert“, sagte Felarion finster. „Atlantium ist völlig in der Hand von Alazar und seinen Unwesen. Wie konn­ten die Menschen sich so schändlich besiegen und versklaven lassen?“

Die Stadt sieht ganz anders aus als früher“, bemerkte Adebar. „Wie konnte man Atlantium so schnell völlig umgestalten?“

Unser Weg durch den magischen Tunnel“, er­klärte Pandorax, „hat für uns nur wenige Au­genblicke gedauert. In Atlantis sind indessen jedoch, meiner Einschätzung nach, ungefähr drei Monate verstrichen.“

Vermutlich hat der Königliche Rat sich den Feinden unterworfen“, sagte Tyrbalt. „Jeden­falls sind die überlebenden Atlantier offenbar immer noch menschlich und bisher nicht zu Untoten ge­macht worden.“

Ihr Dasein als Sklaven hat aber kaum mehr einen Wert“, sagte Zayandra. „Sie sind den Scher­gen Alazars völlig wehrlos ausgeliefert. Er wird das Volk bei der Arbeit und im Krieg verheizen. Wenn er die Menschen nicht mehr braucht, wird er sie freudig ausrotten.“

Ich denke“, sagte Pandorax, „Alazar kann noch nicht über die ganze Macht des Dämo­nenauges verfügen. Er wird seine schwarzmagischen Kräfte darauf konzentrieren, die All­macht des Dä­monenauges endgültig zu erlangen. Inzwischen lässt er allerlei Waffen an­fertigen und spannt die Atlantier für sich ein, um den Kriegszug über die ganze Welt weiter fortzusetzen.“

Dann sind Atlantis und die Welt verloren“, sagte Felarion. „Diesen Unhold kann nichts mehr aufhalten.“

Das einzige, was ihn aufhalten könnte“, sagte Ulangarth, „wäre die Entwendung des Dä­monenauges.“

Doch wie soll das gelingen?“, fragte Zayan­dra. „Im Wüsten Land konnten wir Alazar nichts anhaben und er hielt es nicht einmal für nötig, uns als seine Gefangenen zu besu­chen und zu vernich­ten.“

Inzwischen wird er von unserer Flucht erfah­ren haben“, sagte Pandorax. „Zwar sind wir hier für einige Tage sicher, aber dann wird der Unhold uns garantiert aufspüren. Wenn er uns noch einmal erwischt, wird er kurzen Prozess mit uns machen. Wir brauchen also einen neuen Plan, wie wir ihm das Dämonenauge abjagen!“

Der Rabe flog weiter über Atlantium hinweg und die Gefährten beobachteten im magi­schen Spiegel, dass dort an mehreren Stellen riesige menschliche Leichenberge ange­häuft wurden. Dorthin mussten Sklaven die Leichen anderer Menschen mit Schubkarren bringen, die etwa bei der Arbeit zusammengebrochen oder wegen Feh­lern oder Schwä­chen von ihren grausamen Aufse­hern und Antreibern getötet worden waren. Unwe­sen be­dienten sich von diesen Leichenbergen für ihre blutrünstigen Mahlzeiten oder aber die Lei­ber wurden in den Werkhallen als Brennmaterial ver­feuert, um die großen Schmiedefeuer und Schmel­zöfen anzuheizen. Viele Leichen wurden auch ein­fach zum Verwesen liegen gelassen, wenn die Truppen des Alazar gerade keine bessere Verwen­dung für sie hatten, sodass ständig ein beißender Gestank des Todes und des Bösen über der ganzen Stadt lag.

Als der Rabe über den Palast von Atlantis flog, sahen die Gefährten, dass dort auf dem Vorplatz, an den Toren und auf allen Mauern Abertausende von menschlichen Totenschä­deln aufgestellt waren, die auf langen Metallspießen steckten. Dutzende von Dämonen eil­ten dort umher, stellten weitere blanke Totenschädel auf oder gingen andern Tätig­keiten nach. Einige waren damit beschäftigt, Men­schen sadistisch zu foltern und ihnen dabei auf grauenhafte Weise die Lebensenergie auszusaugen, sodass von ihren Körpern nach ei­nem langsamen und schmerzhaften Tod nur völlig entstellte und verkohlte Massen aus Fleisch und Knochen zu­rückblieben. Der Rabe kreiste eine Weile über dem Palast, bis ein Dämon, der gerade einem schreien­den Menschen bei lebendigem Leib die Haut ab­zog, plötzlich zu ihm aufblickte und böse zischte. Daraufhin wollte der Vogel das Weite suchen, doch ein stählerner Pfeil flog blitzschnell auf ihn zu. Der Rabe wurde getroffen, stürzte hin­ab und schloss seine Augen. Das Bild im Zauberspiegel wurde schwarz.

 

 

 

 

 


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