Die Zauberer von Atlantis
Zweites Buch:
Der Feldzug des dunklen Herrschers
11. Kapitel: Die alte Bibliothek
Seit meiner frühen Kindheit habe ich die endlosen Labyrinthe des Palastes von Atlantium erforscht. Da meine Eltern bereits kurz nach meiner Geburt von Intriganten bei Hofe ermordet wurden, oblag meine Erziehung zunächst einem alten Kindermädchen und später einigen Gouvernanten und Lehrerinnen. Obwohl man versuchte, mich von den gewohnten Bediensteten des Palastes abzuschirmen, und ich somit auch fast keinen Kontakt zu anderen Kindern hatte, gelang es mir schon früh, mich unbemerkt aus den königlichen Gemächern zu schleichen und mich relativ frei in dem riesigen Gebäudekomplex zu bewegen. Insbesondere durfte ich offiziell keinen Kontakt zu fremden Jünglingen oder überhaupt zu fremden Männern haben, da die Gefahr bestand, dass jemand sich durch eine Schwangerschaft bei mir in die königliche Familie und somit in die höchsten Kreise der Macht von Atlantis zu stehlen gedachte. Dies hätte dann bei meinen mächtigen Verwandten zumindest einige Bemühungen erfordert, diese Bedrohung durch Mordintrigen erfolgreich abzuwehren, sodass man jeder möglichen Entwicklung in dieser Richtung von Vornherein einen Riegel durch systematische Isolation der jungen Prinzessin vorschieben wollte. Meine Ausflüge unternahm ich allerdings ohnehin unerkannt, indem ich mich als kleines Kind vor aufmerksamen Blicken versteckte oder des Nachts unterwegs war und mir später einfach die gewöhnliche Kleidung eines Zimmermädchens oder eines Küchenmädchens anzog. So konnte ich vor allem in den letzten Jahren vor meiner Krönung viel mehr erkunden und kennen lernen als in meiner Stellung eigentlich erlaubt gewesen wäre. Den Palast von Atlantium bewohnten mehrere tausend Menschen, wobei nur ein kleiner Bruchteil von einigen Hundert dem Hochadel angehörten und die übrigen höhere, mittlere und niedere Hof- und Verwaltungsbeamte sowie alle möglichen sonstigen Bediensteten der verschiedensten Bereiche waren. Der Bereich der weitläufigen luxuriösen privaten königlichen Gemächer und der privaten Gemächer des Hochadels sowie der prunkvollen herrschaftlichen Säle und repräsentativen Räumlichkeiten um den großen Thronsaal herum bildete das Zentrum des Palastes und nahm bereits für sich einen unüberschaubar großen Raum auf mehreren Ebenen ein. Unzählige weitere Räumlichkeiten für die Verrichtung der hohen, mittleren und niederen Verwaltung sowie der vielfältigen sonstigen niederen Arbeiten zuzüglich der einfachen Wohngemächer der Bediensteten ließen den Königlichen Palast die Ausmaße einer eigenen Stadt innerhalb der Hauptstadt Atlantium einnehmen. Darüber hinaus gab es noch viele weitere unbewohnte und größtenteils völlig unbekannte Gänge, Säle, Zimmerfluchten sowie schier unergründliche Kellergewölbe und Dachgeschosse, die vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden von unseren Vorfahren erbaut und vermutlich auch vielfältig bewohnt und genutzt, jedoch seit Generationen nicht mehr betreten worden waren, da ihre früheren Funktionen ebenso wie ihre verblichenen Bewohner längst in Vergessenheit geraten waren. Es dürfte den königlichen Baumeistern deshalb auch nicht sonderlich schwer gefallen sein, vom Zentrum des Palastes aus die geheime Verbindung zu der riesigen unterirdischen Fertigungshalle für das fantastische Sternenschiff zu errichten, in die Kadrox und Vertigor mich als neue Königin geführt hatten. Wenn ich auch diese besonders bewachten und strengstens geheimgehaltenen Bereiche als Kind freilich noch nicht entdeckt hatte, so war ich doch vor meiner Inthronisierung bereits durch große Teile des Palastlabyrinths gewandert.
Besonders gut erinnere ich mich an jenen Tag, als ich die alte Bibliothek des Palastes entdeckte. Freilich gab es auch eine neue Palastbibliothek, die den Verwaltungsräumen der Beamten angehörte und gelegentlich auch von Mitgliedern der königlichen Familie und des Hochadels aufgesucht wurde, etwa im Rahmen meines Unterrichts durch die eine oder andere Lehrerin. Dort gab es zahlreiche Register und Chroniken, die sich auf die uralten und weitverzweigten Stammbäume des Hochadels und die neuere Historie von Atlantis bezogen. Auch waren dort wissenschaftliche Studien etwa zu Architektur, Städteplanung, Schiffs- und Wagenbau, Landwirtschaft, Viehzucht und allen Sparten der Naturkunde und Medizin vorhanden. Den größten Teil nahmen jedoch theoretische Abhandlungen der Kriegsführung, der Staatsführung und der Staatsverwaltung ein sowie die umfangreichen Gesetzestexte, auf die sich die Beamten etwa im Streitfall, aber auch bei ihren alltäglichen Entscheidungen und Maßnahmen gegenüber Gleichgestellten, Untergebenen und gewöhnlichen Bürgern bei Gelegenheit berufen konnten, wenn einmal eine rechtliche Frage ungeklärt war und auch die Vorgesetzten aus dem Hochadel hier mangels persönlicher Interessen keine eindeutigen Anweisungen erteilt hatten. Die alte Bibliothek hingegen entdeckte ich nach einer mehrstündigen Wanderung durch mir zuvor unbekannte leere Gänge. Gerade dachte ich, dass ich mich nun wohl endgültig verlaufen hätte und einsam verhungern müsste, als ich das große schwere Holztor erblickte. Es stand einen Spalt weit offen, sodass ich nicht befürchten musste, es sei verschlossen. Sogleich las ich die silberne Inschrift auf der Außenseite des dunklen Tors: Die Ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren. Denn unergründlich sind die Quellen des Wahnsinns und die Meere des Todes. Und dazwischen nur ein Fluss der Schmerzen! Bei diesen wenig einladenden Worten hätte man vielleicht ein Irrenhaus, ein Verlies, eine Folterkammer oder ein Sterbehaus für Aussätzige erwartet. Dennoch brachte der seltsame Sinnspruch, wenn es sich denn um einen solchen handelte, etwas in meiner Seele zum Klingen und weckte meine Neugier. Ich trat durch das Tor ein und betrat somit die alte Bibliothek. Hier gab es abertausende Gänge mit Bücherregalen, die sich offensichtlich, wie ich bald erkannte, auch noch über viele Stockwerke erstreckten, die durch steinerne Wendeltreppen miteinander verbunden waren. Ich stöberte etwas herum und meinte bald, wenn ich hier nichts zu essen und zu trinken und auch keinen Hinweis auf einen sicheren Rückweg in die bewohnten Gegenden des Palastes finden würde, dann dürfte sich der seltsame Willkommensgruß hier nur zu schnell bewahrheiten. Die großen alten Ledereinbände der unzähligen uralten Bücher waren mit einer dicken Schicht von dunkelgrauem Staub bedeckt und überall mit Spinnweben überzogen. Hinweise auf Leben oder Rettung gab es hier wirklich nicht. Kaum hatte ich mich entschlossen, mein Gedächtnis in meditativer Weise auf das äußerste anzustrengen und, wie ich es bei meinen vielen früheren Wanderungen durch das Palastlabyrinth gelernt und geübt hatte, mir somit den Weg, den ich heute zurückgelegt hatte, ganz genau vorzustellen und in allen Einzelheiten in Erinnerung zu rufen, sodass ich den Rückweg schließlich finden könnte. Da hörte ich jedoch aus einem fernen Gang der Bibliothek ein leises Schlurfen. Vermutlich handelte es sich nur um eine Ratte oder ein ähnliches Tier, das unter diesen unwirtlichen Bedingungen überleben mochte, doch das Geräusch hielt weiter an und aus Neugier folgte ich ihm. Nach einiger Zeit erreichte ich einen alten Mann, der vor einem Regal langsam auf und ab ging und ganz in ein großes altes Buch vertieft war. Er trug die grauen Gewänder und den grauen Umhang eines Gelehrten von der Königlichen Akademie und hatte langes weißes Haar und einen langen weißen Bart. Erst einige Minuten nachdem ich in seiner Nähe angelangt war und begonnen hatte, ihn leise zu beobachten, blickte er plötzlich auf und schaute mich überrascht und durchdringend an. „Seid gegrüßt“, sagte er. „Mit wem habe ich die Ehre?“ „Sydyana“, sagte ich, da ich gleich erkannte, dass ich dem alten Mann nichts vormachen konnte. Ein Bernsteinamulett mit dem Antlitz einer Eule, das er an einem Band um den Hals trug, wies ihn als Zauberer der Akademie aus. Meinen damaligen Titel als Prinzessin ließ ich trotzdem weg, um keine allzu förmliche Stimmung zu erzeugen. Dazu passte auch nicht mein Aufzug als Küchenmädchen, denn eine solche Verkleidung war freilich meilenweit unter der Würde der königlichen Familie und konnte bei Kenntnis einiger Hofintriganten einen mittelgroßen Skandal auslösen. „Ich bin Tyrbald“, sagte der Mann. „Hierher verirrt sich nicht oft jemand. Ich glaube, außer mir und einigen meiner Studenten war hier schon viele Jahre keiner mehr. Was führt Euch her?“ „Der Zufall“, sagte ich. „Ich habe mich wohl in den alten Gängen verlaufen. Zum Glück habe ich Euch getroffen.“ „Es ist wahrlich ein weiter Weg“, sagte der alte Zauberer. „Und jetzt soll ich wohl das Kindermädchen spielen und Euch nach Hause bringen, was?“ „Wenn Ihr hier vielleicht etwas zu trinken für mich hättet“, erwiderte ich, ohne mich von der unangebracht spöttischen Bemerkung sonderlich beeindruckt oder provoziert zu zeigen, „dann warte ich gerne, bis Ihr selbst gedenkt, den Rückweg anzutreten, oder aber die Zeit findet, mir den richtigen Weg zu beschreiben.“ „Oh, ich bin manchmal viele Wochen hier“, sagte Tyrbalt. „Aber ich will Euch nicht lange auf die Folter spannen. Etwas Gesellschaft auf dieser Reise wird uns beiden gut tun. Ein paar Jahre bleiben mir vielleicht noch, hier künftig meine Studien fortzusetzen.“ Daraufhin stellte der Zauberer das Buch krachend zurück an seinen Platz im Regal, sodass Spinnweben zerrissen und Staub darum herum aufgewirbelt wurde. Er begab sich an ein nahe gelegenes hölzernes Lesepult, auf dem ein besonders großes Buch aufgeschlagen war. Aus einer Tasche daneben holte er eine gläserne Wasserflasche, welche er mir reichte. Ich trank in mehreren großen Schlucken. „Was hat es mit dieser Bibliothek auf sich?“, fragte ich, als der Zauberer sich zum Aufbruch bereit machte. Dabei schob er einen Wagen mit Bücherstapeln an. „Da ich heute ohne andere Begleitung hier bin“, sagte er, „möchte ich die Gelegenheit nutzen und Euch bitten, diesen anderen Bücherwagen dort mit in die Akademie zu schieben.“ „Gerne“, sagte ich und fasste die Griffe des Wagens, „wenn Ihr mich dafür über die Geheimnisse dieses seltsamen Ortes aufklärt.“ „Die Bibliothek ist uralt und vergessen“, sagte Tyrbalt, als wir uns durch die endlosen Gänge zwischen den verstaubten Regalen entlang bewegten. „Die alte Bibliothek enthält unendlich mal mehr Bücher als die neue Bibliothek der schnöden Beamten. Und alles, was dort von Bedeutung ist, das enthält sie in vielfachen Variationen und mit Massen an Ergänzungen und Erläuterungen in unendlich vielen, größtenteils längst vergessenen Sprachen. In Jahrzehnten des Studiums habe ich nur einen verschwindend geringen Bruchteil der Werke zur Magie lesen können. Früher habe ich versucht, ein logisches System zu entwickeln, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen und möglichst viele Erkenntnisse über die Formen der Magie und die anderen wundersamen Fähigkeiten unserer Vorfahren zu erlangen. Doch die Werke und Fähigkeiten der Alten sind wahrlich unergründlich. Ich lasse mich jetzt mehr von der Intuition leiten und lese neben magischen Werken auch immer mehr Werke der schönen Literatur und Dichtung. Diese enthalten eine ganz andere Form der Magie und der Erkenntnis, die in der Wissenschaft nicht zu vermitteln ist. Die Bemühungen, andere vom Wert und vom Schatz der alten Bibliothek zu überzeugen und dafür zu begeistern, habe ich ebenfalls aufgegeben. Außer wenigen Studierenden der Magie verirrt sich niemand mehr hierher. Eigentlich nur zu verständlich angesichts des drohenden Erlöschens der roten Sonne. Dabei gibt es auch dazu einiges in den wissenschaftlichen und philosophischen Werken der Alten zu entdecken. Alchemie und Astronomie befassen sich seit langem mit dem Ende der Zeiten und einem möglichen Überleben.“ Die Gänge und Ebenen der alten Bibliothek und somit auch ihre Bücher und deren Geschichten und Gedanken erschienen mir damals und bei meinen wenigen späteren Besuchen in der Tat unendlich, und sei es auch, dass die Räumlichkeiten in seltsamen und äußerst raffinierten geometrischen Formen angeordnet waren, die einen solchen Eindruck der Unendlichkeit in der Wahrnehmung und im Verstand der Menschen hervorriefen. Es mochten dabei auch Sinnestäuschungen und Illusionen und die uns unerklärlichen Mechanismen und Techniken der Alten im Spiel sein. Denn wie sollte Unendlichkeit innerhalb des großen und verzweigten, aber dennoch räumlich begrenzten Königspalastes, ja selbst innerhalb der unvorstellbaren Größe, aber eben doch räumlich begrenzten Größe unseres Planeten oder unseres Sonnensystems existieren? War überhaupt so etwas wie räumliche oder zeitliche Unendlichkeit angesichts der Sterblichkeit der Menschen und der Vergänglichkeit aller Welten denkbar? Widersprüchliche Gedanken und Fragen ohne Antworten konnten in der verstaubten Atmosphäre der alten Bibliothek und von den vergilbten Seiten ihrer uralten Bücher aufkommen und unaufhörlich den Geist martern. Je mehr mögliches oder vermeintliches Wissen einem zur Verfügung stand, desto mehr und desto schmerzlicher wurde einem doch auch die eigene weitreichende Unwissenheit bewusst. Der alte Zauberer Tyrbalt jedenfalls wurde mir zu einem wichtigen Berater und besonderen Vertrauten. Nachdem ich einige Zeit später zur Königin gemacht worden war, konnte ich verhindern, dass er von Intriganten an der Akademie gemeuchelt oder aus dem Amt gejagt wurde. Dennoch brach er schließlich aus Atlantium auf, um für die Menschen von Atlantis und gegen die dunkle Bedrohung aus dem Wüsten Land zu kämpfen.
12. Kapitel: Zum Angriff
Ich schnitt meinem Opfer mit einem schwarzen Dolch die Kehle durch und beobachtete, wie es zu Boden sank und in seiner Blutlache starb. Der Soldat war auf seinem Wachposten eingeschlafen und deshalb dem Tode geweiht. Und da ich gerade eine Inspektion der Festungsanlagen vornahm, nutzte ich die Gelegenheit, um zugleich die eiserne Disziplin der Truppen und meine schwarzmagischen Kräfte weiter zu stärken. Die Lebensenergien des Gerichteten gingen sogleich mit einem blauen und weißen Knistern und Blitzen in mich über, sodass ich mit der Energie etwa vermocht hätte, durch Fernwirkung eine steinerne Burgmauer zu zerschlagen oder einen anderen Magier mit einem schwarzen Blitz zu vernichten. Stattdessen sammelte und speicherte ich diese Energie wie auch die aus den zahllosen Opfern, die ich zuvor zur Stärkung meiner magischen Kräfte und im Dienste des allmächtigen Meisters geschlachtet hatte. „Werft die Überreste des Versagers den wilden Tieren vor“, befahl ich den umstehenden Männern und wandte mich von der verkohlten Leiche mit ihren verstümmelten und versengten Fleisch- und Knochenresten ab. „Jawohl, Meister Andron!“, rief ein Unterführer und einige Soldaten machten sich ans Werk. Insgeheim schmeichelte es mir noch immer sehr, so angeredet zu werden. Ich genoss das Gefühl, dass mir blinder Gehorsam und zugleich grenzenlose Furcht und fanatische Bewunderung von den Untergebenen entgegengebracht wurden, seit ich einer der höchsten Getreuen von Alazar und niemandem außer ihm Rechenschaft schuldig war. Nachdem es bei der Inspektion keine weiteren besonderen Vorkommnisse gab, kehrte ich in den großen schwarzen Turm meines allmächtigen Meisters zurück und begab mich über die langen steinernen Wendeltreppen ganz nach oben in die zentralen Herrschaftsgemächer. „Silberner Fuchs!“, begrüßte mich Oborion, der nun ebenfalls in hoher Stellung dem Meister Alazar dienen und das Wilde Volk in der Armee anführen durfte. „Großer Führer uns rufen zu Befehl. Bestimmt er schicken uns bald zum Angriff!“ „Wahrlich“, sagte ich in meiner Muttersprache, die der alte Fuchsschamane inzwischen ein wenig gelernt hatte und verstehen konnte. „Ich denke auch, unser Sieg ist nahe. Ich freue mich darauf, den Feind zu vernichten.“ Drei weitere mächtige Schwarzmagier erschienen und wir warteten ehrfurchtsvoll auf das Signal eines Wächters, mit dem wir in den Saal des Meisters gerufen wurden. Alazar stand unbewegt in seinem dunklen Gemach, das Antlitz unter seiner schwarzen Kapuze verborgen. Wir knieten uns vor ihm nieder und spürten die unvorstellbaren magischen Energien die von dem allmächtigen Meister und dem finsteren Dämonenauge ausgingen. „Die Zeit ist gekommen“, sprach der Dunkle. „Meine Armee reitet heute Nacht gegen Atlantis. Wenn der Feind geschlagen und das Land unser ist, setze ich einen von euch als Stadthalter ein. Das Volk von Atlantis darf uns dann als Sklaven dienen und meine Streitmacht aufstocken. Damit erobern wir die ganze Welt und verfügen über die gesamte Lebensenergie der Erde. Wenn es dann zum Sterben der roten Sonne und zum Tod dieses Sonnensystems kommt, werde ich die kosmischen Energien dergestalt bündeln und die schwarze Magie des Dämonenauges dergestalt entfesseln, dass meine ewige Herrschaft über das Multiversum beginnt.“
13. Kapitel: Ins Wüste Land
Pandorax und seine Gefährten gingen hinter einem Felsvorsprung in Deckung und beobachteten, wie in der Ferne die Truppen aus dem Wüsten Land im Licht der aufgehenden dunkelroten Sonne vorbeimarschierten. „Was denen im Weg steht“, bemerkte der Schwarzmagier, „wird gnadenlos niedergemacht. Wenn diese Armee in Atlantium eintrifft, bleibt dort kein Stein mehr auf dem anderen. Abertausende werden massakriert oder in die Streitmacht von Alazar eingegliedert.“ Als die gewaltige Armee der Unwesen außer Sichtweite war, setzte die Gruppe ihre Wanderung ins Zentrum des Wüsten Landes fort. „In drei Tagen werden wir Alazars Festung erreichen“, sagte Pandorax. „Es ist am sichersten, wenn wir keine Magie zur Fortbewegung einsetzen, damit sie nicht von den feindlichen Schwarzmagiern und Dämonen oder von dem schäbigen Unhold selbst wahrgenommen wird und man uns hier sogleich aufspürt. Dennoch besteht große Gefahr, dass der Feind uns irgendwie entdeckt und angreift. Seid also ständig auf der Hut!“ „Wie kann ein derart trostloses und totes Land überhaupt existieren?“, fragte Adebar nach einiger Zeit schweigsamer Wanderung über grauen Sand und schwarze Gesteinsbrocken. „Das Wüste Land“, erklärte Tyrbalt, „ist schon seit vielen tausend Jahre tot. Früher soll das anders gewesen sein. Vor ein paar Jahren bin ich in der alten Palastbibliothek einmal durch Zufall auf uralte Schriften gestoßen. Darin ist von einem mythischen goldenen Zeitalter die Rede, in dem die Welt ganz anders ausgesehen hat. Die Techniken und Fähigkeiten der Alten sind uns heute praktische unvorstellbar. Und auch die Erdoberfläche und die Länder haben völlig anders ausgesehen. Wie wir wissen, verändert sich die Erde sehr langsam in gleichsam unendlicher Zeit und schafft neue Kontinente, Meere und Gebirge. Hier ist jedoch etwas anderes geschehen.“ „Und das wäre?“, fragte der Schwertmeister Felarion. „Den Aufzeichnungen zufolge“, fuhr Tyrbalt fort, „war diese Gegend vor Tausenden von Jahren äußerst lebendig und fruchtbar. Dann fand jedoch eine unglaubliche Verheerung statt. Die unvorstellbare schwarze Magie, die einigen Technologien der Alten innewohnte, hat sich hier auf schreckliche Weise ausgewirkt, wenn man den Aufzeichnungen glauben darf. Vielleicht waren auch noch ganz andere Kräfte am Werk, hier unterscheiden sich die Mutmaßungen der Chronisten und Wissenschaftler. Viele Millionen von Menschenleben sollen jedenfalls auf einen Schlag ausgelöscht worden sein und die Nachwirkungen der Verheerung lassen bis heute keine neues Leben im Wüsten Land gedeihen. Darin stimmen die verschiedenen Quellen überein.“ „Dies ist wahrlich der rechte Ort für einen Widerling wie Alazar“, warf die Waldzauberin Zayandra ein. „Dieses tote Land ist das genaue Gegenteil des großen grünen Waldes. Die meisten Lebewesen, die sich hier länger aufhalten, nehmen großen Schaden an Leib und Seele. Deshalb wird das Wüste Land für gewöhnlich von allen Menschen und Tieren gemieden. Dem Feind und seinen Unwesen dürfte es hingegen eine ideale Heimstätte sein.“ „In der Tat“, bestätigte Pandorax. „So wie im Wüsten Land wird es nach Alazars Willen bald auf der ganzen Erde aussehen. Und sogar noch schlimmer. Gegenüber der Herrschaft Alazars wäre das Erlöschen der Sonne eine Erlösung.“ „Dann kann ich nur hoffen“, sagte Felarion, „dass wir den Sieg gegen Alazar erringen und das Wüste Land noch rechtzeitig wieder verlassen, bevor es uns Leib und Seele verzehrt.“
14. Kapitel: Besessen
Ich hatte schon früher immer wieder unerklärliche Einflüsse dunkler Mächte bei Hofe empfunden, doch als Königin wurde ich fast jede Nacht von seltsamen und oftmals grauenhaften Träumen heimgesucht. Meistens konnte ich mich beim Erwachen jedoch nicht mehr an die Einzelheiten der Träume erinnern, sondern es blieb lediglich eine dunkle und unheimliche Stimmung zurück, die sich von dem Nachklang gewöhnlicher Alpträume unterschied. Tyrbalt erklärte mir, dass Schwarzmagier oder sogar Dämonen manchmal versuchten, Besitz vom Geist einer Person zu ergreifen, um diese ganz nach eigenem Willen zu lenken und zu gebrauchen. Dies konnte mit Wissen der Wirtsperson und entweder gegen oder in gewissem Grade auch mit deren Einverständnis geschehen, wenn jemand sich dadurch etwa selbst größere Macht erhoffte. Es konnte dem Opfer jedoch auch völlig unbewusst bleiben, sodass es dann gleichsam als willenlose Marionette des Unholdes gebraucht wurde, welche dieser nach Belieben zu gewissen Zeiten für seine Machenschaften einsetzte. Da nur sehr mächtige Schwarzmagier und Dämonen für kurze Zeit zu diesem finsteren Zauber fähig waren und außerdem wohl nur bestimmte Zielpersonen die charakterlich-seelischen Voraussetzungen für diese schreckliche magische Besessenheit erfüllten, glaubte ich nicht, dass ich Opfer eines solchen Angriffs wurde. Gewisse Träume oder seltsame Empfindungen, so hatte Tyrbalt mir erzählt, deuteten jedoch darauf hin, dass ein solcher Angriff der Besitzergreifung auf einen Menschen durchgeführt wurde, mochte der Versuch auch letztlich ohne Erfolg geblieben sein. Außerdem konnten Menschen mit gewisser magischer Veranlagung das Wirken der Schwarzen Magie in ihrer Umgebung spüren und je nach Ausprägung der Begabung mehr oder weniger genau und deutlich wahrnehmen. Da der alte Zauberer inzwischen schon eine Weile dem Hofe fern war, konnte ich ihn nicht um Hilfe bitten, meinen neuen Verdacht genauer zu untersuchen, als meine unheimlichen Träume und Wahrnehmungen in dieser Hinsicht immer häufiger und immer stärker wurden. Eines Nachts erfuhr ich hingegen selbst mehr über derartige Vorgänge im Palast.
Ich hatte mich nach einem abendlichen Festbankett im großen Speisesaal so früh zurückgezogen, wie es das Protokoll überhaupt erlaubte, ohne dass ich dadurch hohe Gäste beleidigte. Eigentlich war ich sehr erschöpft von den lästigen Verpflichtungen das Tages und wollte mich bald zu Bett begeben. Jedoch fiel mir plötzlich noch eine wichtige rechtliche Frage ein, die es für einige bürokratischen Entscheidungen des nächsten Tages zu klären galt, um mich in diesen Angelegenheiten nicht völlig blind auf meine Hofbeamten verlassen zu müssen. Deshalb wollte ich zu später Stunde unbedingt noch etwas in der neuen Bibliothek nachschlagen, da am nächsten Morgen wohl nicht genug Zeit dafür blieb und ich mich in diesem Falle nicht aufgrund von Unwissenheit einem möglichen falschen Urteil der Berater ausliefern wollte. Ich hatte einige Zeit lang gesucht und gelesen und mich schließlich länger in den Paragraphen und Erläuterungen verloren, als eigentlich geplant, als ich plötzlich leise Schritte auf dem Gang vor der Bibliothek und schließlich das Knarren der Tür hörte. Da ich nicht die geringste Lust verspürte, hier nach Einbruch der Nacht angetroffen und womöglich in eine lästigen Konversation mit einem Beamten verstrickt zu werden, huschte ich schnell durch einen schmalen Gang und in eine dunkle Ecke hinter einige Regale, wo man mich nicht sehen sollte. Aus den Schatten beobachtete ich, wie Hofmarschall Kadrox im Halbdunkel langsam zu einem Regal ging und ein großes altes Buch heraus nahm. Dieses legte er jedoch beiseite, um in die entstandene Lücke hinein zu greifen. Dahinter musste sich ein geheimes Fach befinden, denn Kadrox holte einen langen dunklen Gegenstand heraus, den ich zunächst nicht richtig erkennen konnte. Dann ging der Hofmarschall wie in Trance in die Mitte des Raumes und kniete nieder. Kadrox gab wispernde Laute von sich, bei denen es sich um zauberische Worte einer unheimlichen fremden Sprache handeln mochte. Im fahlen Licht der Öllampen erkannte ich, dass er einen schwarzen Dolch mit beiden Händen vor seine Brust streckte. Dann war die dunkle Anrufung offenbar erfolgreich und eine silbern glänzende Gestalt erschien im Raum. „Die Zeit ist reif“, sprach der Dämon mit zischender bösartiger Stimme. „Bald darfst du deinen magischen Dolch gebrauchen, um all deine Feinde zu vernichten.“ „Ich danke Euch, Argrath“, sagte Kadrox monoton. „Dann wird endlich wieder Ordnung in Atlantis herrschen.“ „Danke nicht mir“, entgegnete das Unwesen. „Du hättest mich nie beschwören können. Wir dienen beide dem allmächtigen Meister. Alazar wird dich an seiner Allmacht teilhaben lassen, wenn du ihm deine Seele völlig auslieferst.“ „Jawohl, Dämon“, sagte Kadrox. „Ich bin bereit. Es ist mir die größte Ehre eine Waffe in der Hand des allmächtigen Meisters zu sein.“ „Gut“, sagte der Dämon Argrath. Er legte eine schlanke Hand auf die Stirn des Höflings und ein silbernes blitzendes Knistern durchzog den ganzen Körper des Mannes. Alle Öllampen erloschen, während sich ein Gestank nach Metall und Schwefel in der Bibliothek ausbreitete. Von dem schwarzen Dolch ging eine silberne Strahlung aus und Kadrox beugte sich hinab zu Füßen des Dämons, der ihn mit seiner irren bösartigen Fratze anstarrte und seine Krallen auf ihn richtete. Dann waren die dämonischen und magischen Erscheinungen urplötzlich wieder verschwunden und die Öllampen leuchteten wieder. Kadrox erhob sich langsam und verstaute den schwarzen Dolch in seinem Gewand. Er stellte das große Buch zurück an seinen Platz und verließ mit finsterem starren Blick den Raum.
15. Kapitel: Der Feldzug
In den ersten Dörfern und Ansiedlungen, auf die wir stießen, schlachteten wir alle Bewohner erbarmungslos ab. Schließlich konnte man das Bauerngesocks kaum effektiv als Arbeitssklaven gebrauchen oder als Soldaten einsetzen. Sie wären uns lebend nur lästig gewesen bei der Kontrolle der Ländereien und auf dem weiteren Weg nach Atlantium. Um die Dämonen und die anderen Unwesen zu motivieren und ihren Kampfgeist und ihren Blutrausch weiter anzustacheln, erlaubte die Führung ihnen, die Menschen einige Stunden lang bestialisch zu Tode zu foltern und schließlich alle zu zerfleischen und aufzufressen. Daraufhin zogen wir mit dreitausend Totenschädeln auf den Speeren weiter und jeder, dem wir begegneten oder der Spuren unseres Feldzuges erblickte, wusste sofort, dass die Armee des Wüsten Landes nur Grauen und Verderben brachte, wie sie Atlantis seit Jahrtausenden nicht gesehen hatte.
* * *
Mir blieb kaum Zeit, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich mit der grauenhaften Entdeckung über Hofmarschall Kadrox umgehen sollte, der öffentlich keinerlei Veränderung in seinem Verhalten zeigte, denn wenige Wochen, nachdem ich das unheimliche Geschehen in der neuen Bibliothek beobachtet hatte, stand die Armee des Wüsten Landes vor den Toren von Atlantium. Das Kriegshandwerk leiteten die Generäle und ich brauchte lediglich formal meine Zustimmung zu den grundsätzlichen Entscheidungen der Militärstrategen zu geben. General Sabalan, der das Oberkommando über unsere Truppen hatte, ließ die Tore und Mauern des Stadtkerns verstärkt befestigen und mit zusätzlichen Wachsoldaten besetzen, sobald uns die Nachricht vom Herannahen der feindlichen Truppen erreichte. Als diese eintrafen und einige Kilometer vor der Stadt ein riesiges Militärlager aufschlugen, wurde deutlich, dass sie uns entweder mit ihrer schieren Übermacht überrennen und in wenigen Tagen besiegen oder uns einfach belagern und grausam aushungern konnten. Sabalan hielt deshalb Angriff für die beste Verteidigung. Da etwa fünfzigtausend Feinde vor unseren Toren lagen und niemand einschätzen konnte, wie viele noch im Wüsten Land weilen und nachrücken mochten, wollte der General möglichst schnell angreifen und eine Schlacht im offenen Felde vor der Stadt herbeiführen. Er schickte zehntausend Soldaten zu einem ersten Ausfall los, etwa ein Drittel der gesamten Truppen von Atlantium. Ein paar Stunden später kehrten nur wenige Dutzend Männer zurück, um von einem unvorstellbaren Grauen zu berichten. Die Hälfte der Soldaten war brutal abgeschlachtet worden und die andere Hälfte war in Gefangenschaft der Feinde. Unsere Magier entnahmen den Berichten der schockierten Soldaten, dass in den feindlichen Reihen zahlreiche grauenhafte Unwesen und Dämonen waren, gegen die Menschen fast nichts ausrichten konnten. Außerdem befürchteten sie, dass mächtige Schwarzmagier die gefangenen Atlantier zu willenlosen Zombiekriegern umformen wollten, um diese dann nach Belieben zu gebrauchen. Gewöhnliche Formen der Kriegsführung waren hier völlig aussichtslos. Wir sahen dem absoluten Untergang von Atlantis hilflos entgegen.
Im Königlichen Rat, der die furchtbare Bedrohung erörterte, machte Hofmarschall Kadrox den Vorschlag, mit den Feinden zu verhandeln und ihnen eine Kapitulation anzubieten, um Atlantium vor der Zerstörung und die Menschen von Atlantis vor dem Tod oder der Umwandlung in Zombiesklaven zu bewahren. Dem stimmten schließlich alle Ratsmitglieder schweren Herzens zu, um zu retten, was angesichts der schrecklichen Lage vielleicht noch zu retten war. Flankiert von General Sabalan und Kadrox empfing ich also die Gesandtschaft der Feinde. Es kamen ein sehr junger und drei ältere Männer in schwarzen Umhängen sowie ein rotbraunes Hybridwesen in den Thronsaal. Es war das erste Mal, dass ich einem Vertreter des Wilden Volkes begegnete, der offenbar der Rasse der Füchse angehörte, wie sein wildes rotes Antlitz zeigte. Die Ankömmlinge schienen keinen weiteren Schutz durch ihre Truppen zu benötigen, obwohl es sich bei ihnen tatsächlich um die Führung der Armee des Wüsten Landes handeln sollte. Zu fünft schritten sie arrogant an den langen Reihen meiner Leibwache vorbei und stellten sich in unverschämter Haltung vor den Obsidianthron. „Seid willkommen im Herzen von Atlantis“, sagte ich förmlich. „Ich hoffe, wir können in dieser schweren Lage eine friedliche Lösung für unsere Völker erreichen.“ „Seid gegrüßt, Königin Sydyana“, sagte der jüngste der Schwarzmagier. „Ich bin Meister Andron. Wir haben vernommen, dass Ihr uns die bedingungslose Kapitulation anbieten wollt, Eure Hoheit.“ Ich merkte, dass es keinen Sinn hatte, zu versuchen, bessere Bedingungen für Atlantis heraus zu handeln, denn letztlich waren wir den dunklen Mächten der Feinde völlig wehrlos ausgeliefert. Kadrox und Sabalan nickten mir ernst und finster zu und somit bestätigte ich den Anspruch der Eroberer. „Der Königliche Rat von Atlantis hat entschieden“, erklärte ich. „Wir begeben uns ganz in die Obhut und die Gnade Eurer großen Macht aus dem Wüsten Land.“
16. Kapitel: Gastfreundschaft
Die Gefährten um Pandorax waren nur noch wenige Stunden Fußmarsch von der Festung des Alazar im Zentrum des Wüsten Landes entfernt. Da bemerkten sie plötzlich, dass sich die graue Erde um sie herum bewegte. Der Erdboden brach an mehreren Stellen auf und abscheuliche dämonische Gestalten kamen herauf. Sie hatten silbern glänzende menschlichen Körper, waren aber mit langen stählernen Krallen ausgestattet und fauchten die Menschen böse aus bestialischen Gesichtern mit Fangmäulern an, die Reihen langer und spitzer Metallzähne entblößten. „Das sind ganz besondere Dämonen“, bemerkte Pandorax, als die Unwesen seine Gruppe einkreisten und bedrohlich näher rückten. „Ulangarth, kannst du deine sympathischen Verwandten hier vielleicht besänftigen?“ „Sie stehen in Diensten von Alazar“, entgegnete der dämonische Gefährte. „Und diese sind besonders zudringlich. Vermutlich geben sie keine Ruhe, bis sie uns zerfetzt und zerfleischt haben.“ „Dann kommt es wohl nicht zu einer gütlichen Einigung“, sagte Zayandra sarkastisch. „Dann kämpfen wir!“, rief Felarion entschlossen und zog seine Schwerter. „Und sei es bis zum bitteren Ende!“ Die Gefährten formierten sich im Kreis und machten sich zur Abwehr der Dämonenunwesen bereit. Doch zu ihrer Überraschung hielten die Gestalten etwas Abstand und lauerten wie Raubtiere mit feuerroten glühenden Augen. „Herzlich Willkommen im Reich des allmächtigen Alazar!“, war plötzlich eine metallene und bösartige Stimme zu vernehmen, die wie aus dem Nichts erschallte. Dann erschien ein schlanker, eleganter Dämon, der eher Ulangarth als den umstehenden Ausgeburten des Bösen glich. „Sei gegrüßt, Argrath“, sagte Ulangarth zu seinem Artgenossen. „So stehst du also auch in Diensten dieses Unholdes.“ „Jawohl“, sagte der andere Dämon. „Und damit stehe ich auf Seiten der Allmacht, die mit dem Dämonenauge bald das Multiversum beherrscht.“ „Es wird sich noch herausstellen“, erwiderte Ulangarth, „wer letztlich den Sieg davon trägt. Freue dich nicht zu früh!“ Argrath erhob wie beiläufig die Hand und daraufhin erschienen Legionen von Unwesen und Angehörigen des Wilden Volkes von allen Seiten. „Ihr habt die Wahl“, sagte der mächtige Dämon spöttisch. „Entweder spielen wir etwas mit euch und haben dabei ein höllisches Vergnügen, oder aber ihr seid friedlich und folgt sogleich der vortrefflichen Gastfreundschaft meines allmächtigen Meisters.“ „Ich denke“, sagte Pandorax, „wir ziehen die zweite deiner freundlichen Alternativen vor.“ „Eine sehr weise Entscheidung“, sagte Argrath höhnisch.
Die Gefährten wurden von den Unwesen zur schwarzen Festung geführt. Dabei bemerkten sie erstaunt, dass die Landschaft im Zentrum des Wüsten Landes ganz anders war, als auf ihrer bisherigen Reise. Hier wuchsen riesige dunkle Bäume mit umfangreichen schwarzen Baumstämmen aus der Erde. Lange monströse Schlingpflanzen erhoben sich aus grauem Staub und schnappten mit entarteten giftgrünen Mäulern nach den Wanderern. Seltsame spitze Felsen gab es hier ebenso wie Vulkangestein, brodelnde dampfende Sümpfe und gleißende rote Lavaflüsse. Ein Durchqueren dieser fremdartigen, äußerst feindseligen Landschaft erschien eigentlich unmöglich, doch alle Pflanzen und Felsen und selbst die dicke und stinkende Luft lebten hier auf abscheuliche Weise und wurden von der Schwarzen Magie des Dämonenauges genährt und beherrscht. Deshalb durften die Unwesen und ihre unfreiwilligen Gäste die abstoßende Gegend passieren und sich der gigantischen dunklen Festung des bösen Schwarzmagiers Alazar nähern. „Jetzt habt ihr das Vergnügen, mit unseren Folterverliesen Bekanntschaft zu machen“, sagte Argrath, als die Gruppe durch ein großes steinernes Tor eintrat. „Alazar wird dann entscheiden, ob er euch durch den Tod erlöst oder was er sonst mit euch machen will.“ Dämonen ergriffen die Gefährten und legten ihnen magisch gestärkte schwere Eisenketten an Hände, Füße und Hälse. Sie zogen sie hinter sich her eine Wendeltreppe hinab, die viele hundert Meter tief in die Erde führte. An den Seiten sahen sie manchmal in Räume, in denen gefangene Menschen von Dämonen oder garstigen Zwergen mit Feuer und stählernen Werkzeugen auf alle erdenklichen Weisen gefoltert wurden. Auch blickten sie bei ihrem Abstieg in Kammern, in denen wilde Unwesen die Überreste von zu Tode gefolterten Menschen gierig verschlangen, indem sie grunzend und sabbernd ihre Raubtierzähne in das blutige Fleisch schlugen, laut knirschend und knackend die Knochen zerbissen und die Gliedmaßen und gemarterten Schädel auf widerliche Weise abnagten, sich ekelhaft schmatzend die ganzen zerfetzten Körper mitsamt der stinkenden Gedärme der Opfer einverleibten. Die Wendeltreppe und die gesamten Folterverliese waren von einem abscheulichen Gestank nach Blut, Exkrementen, heißem Metall, verbranntem Fleisch und Schwefeldampf erfüllt, der die Ankömmlinge fast betäubte und erstickte. Irgendwann stießen die Dämonen ihre neuen Gefangenen brutal in enge steinerne Zellen, in denen absolute Dunkelheit herrschte.
17. Kapitel: Hochzeit
Da wir uns freiwillig unterworfen hatten, verzichteten die Eroberer vorerst darauf, Atlantium dem Erdboden gleich zu machen und die Bevölkerung abzuschlachten oder in Zombiesklaven umzuwandeln. Die Feinde machten sich sogar einen perfiden Spaß daraus, den Königlichen Rat formal in seiner Funktion zu belassen. Dabei lenkten sie mich als Königin ebenso wie Kadrox, Sabalan, Vertigor und alle anderen Ratsmitglieder wie ihre Marionetten. In Wirklichkeit hatten der junge Schwarzmagier Andron, die drei weiteren Schwarzkünstler und der alte Fuchsschamane Oborion die Macht in Atlantis übernommen und konnten Schalten und Walten wie es ihnen gefiel. Ich vermutete allerdings, dass eine noch größere und schrecklichere Macht im Wüsten Land existierte, deren Vasallen diese fünf waren und deren Pläne man kaum erahnen konnte. Vermutlich warteten auch Andron und seine Leute auf weiteren Befehl von dieser dunklen Macht.
* * *
Mein allmächtiger Meister Alazar erschien in Begleitung des Dämons Argrath zur Morgenstunde in Atlantium. Der Einzug seiner düsteren Majestät in die Stadt und in den Königspalast wurde von unserer Armee mit frenetischen wilden Jubelgesängen gefeiert. Auch für die Bevölkerung von Atlantium wurde angeordnet, ihren neuen Herrscher freudig zu begrüßen und als Gottheit anzubeten. Als unser Meister den Thronsaal betrat, wussten Königin Sydyana und ihre Höflinge sofort intuitiv, dass sie sich vor ihm demütig auf den Boden zu werfen hatten. Alazar schwebte langsam durch den Saal und setzte sich verächtlich auf den Obsidianthron. „Ihr dürft euch erheben“, sprach er und die Atlantier richteten sich ehrerbietig auf und traten mit gesenkten Häuptern vor ihren neuen Gott hin, während wir als Gefolge des Alazar zu beiden Seiten des Thrones standen. „Schmeißfliegen von Atlantis! Hört meinen Befehl: Meister Andron wird mein Stadthalter von Atlantium. Ich war sehr erfreut zu hören, dass ihr euch meiner unendlichen Macht freiwillig unterworfen habt, um euch meiner unbesiegbaren Streitmacht anzuschließen. Für diese Klugheit und diesen Treuebeweis gegenüber eurem allmächtigen Gott will ich euch belohnen. Wie ich sehe, ist die Königin ein hübsches junges Mädchen. Somit belohne ich zugleich den neuen Stadthalter und das uralte Volk von Atlantis, indem ich die Vermählung von Andron und Sydyana verkünde.“ In dem gleichen Thronsaal, in welchem ich vor gar nicht langer Zeit ihren Vorgänger geschlachtet hatte, um die Entwicklungen in Atlantis für meinen Meister in die richtigen Bahnen zu lenken, sollte ich die junge Königin heiraten. Damit wurde Alazars Herrschaft in jeder Hinsicht bestätigt und für immer festgeschrieben. Und ich wurde sein Stadthalter und der Regent von Atlantis. Damit war ich nach Alazar der mächtigste Mensch auf Erden. Als Auserwählter des allmächtigen Meisters sollte ich mehr als jeder andere an seiner Weltherrschaft und bald an seiner ewigen Herrschaft des ganzen Multiversums teilhaben. Unendliche dunkle Freude stieg in mir auf und mich durchströmte ein grenzenloser Machtrausch.
* * *
Niemals erfuhr ich eine derartige Manifestation des absoluten Bösen. Der Schwarzmagier Alazar und der widerliche Dämon Argrath verbreiteten eine niederschmetternde Atmosphäre von abgrundtiefem Hass und perfider Bösartigkeit. Vor allem aber umgab sie eine Aura von blindwütiger todbringender Macht. Ich wusste, dass unsere Kapitulation nur einen sinnlosen Aufschub bedeutete, der den Untergang und die Vernichtung von Atlantis und vermutlich der ganzen Welt nur um so schrecklicher machte. Dieser finstere Todestrieb, den ich in den giftgrünen Augen im fahlen Antlitz unter der schwarzen Kapuze von Alazar gewahrte, würde sich bald gegen alles Lebendige richten. Genauso bedrohlich und abscheulich wirkte auf mich der silbern glänzende Dämon Argrath, den ich schon einmal im Halbdunkel der Bibliothek mit Kadrox gesehen hatte. In seiner vollen Erscheinung im hellen Thronsaal konnte ich ihn jedoch genauer betrachten und es schien mir, dass er hier seine ganze fremdartige Eleganz und dämonische Bosheit zur Geltung brachte, die in ihrer seltsamen Ausstrahlung von übermenschlicher Intelligenz und mysteriöser Schönheit auf unerklärliche Weise unendlich viel erschreckender wirkten, als eine ganze Armee von bestialischen Unwesen. Alazar ließ sich als dunkler Gott verehren und als solcher setzte er sogleich den Schwarzmagier Andron als seinen Stadthalter von Atlantis ein und verkündete meine Hochzeit mit seinem skrupellosen Gefolgsmann. Wir traten auf seinen Wink hin beide vor den Obsidianthron und fassten uns bei den Händen. Er berührte unser beider Hände kurz mit seiner rechten knochigen Kralle. Dabei durchfuhr mich eine frostige Kälte und ein schwarzmagisches Knistern, sodass ich nur noch unter größter Willensanstrengung gute Miene zum bösen Spiel machen konnte und fast vor Angst und Schmerz zusammengebrochen wäre. „Hiermit sei der Hochzeitsakt vollbracht“, sprach Alazar finster und wechselte einen kurzen Blick mit dem höhnisch grinsenden Argrath. „Die Feierlichkeiten zu Ehren des jungen Königspaares und zu Ehren eures allmächtigen Gottes werden sieben Tage dauern. Für jeden Tag der Feier sind hundert öffentliche Menschenopfer vor dem Palast darzubringen. Der Königliche Rat wird beauftragt, alles zu gestalten sowie auszuwählen, welchen Untertanen die besondere Ehre zukommt, sich für diesen hohen Zweck zu opfern. Heil der allmächtigen bösen Urkraft!“ So wurde ich auf lieblose Weise vermählt und so begann die grausame Schreckensherrschaft in Atlantis.
18. Kapitel: In den Verliesen
Adebar wusste nicht, wie lange er bereits in den Folterverliesen von Alazar gefangen war. Es mochten Tagen oder Wochen gewesen sein, in denen er den bestialischen Gestank ertragen musste und immer wieder grelle Schmerzensschreie aus den umliegenden Gängen des Foltergefängnisses hörte. Besonders litt er jedoch an der bodenlosen Dunkelheit und an der Einsamkeit in der engen Einzelzelle. Er war an Ketten gefesselt, die tief in die Knöchel seiner Hand- und Fußgelenke sowie in seinen Hals hinein schnitten, sobald er sich regte. Und selbst dann konnte er sich nur wenige Zentimeter in alle Richtungen bewegen, bis er an die Steinwände stieß. Er konnte sich wegen der tiefen Decke der Zelle nicht ganz aufrichten und sich auch kaum auf dem harten kalten Boden zusammen krümmen, um unruhigen und von grässlichen Alpträumen geplagten Schlaf zu finden. Selbst wenn ihm gelegentlich durch einen kleinen Spalt unten in der Tür eine Schüssel mit verfaultem Wasser hinein geschoben wurde oder er auf diesem Wege stinkende Essensrationen erhielt, in denen er verweste und verschimmelte Fleischabfälle vermutete, fiel kein Lichtstrahl in die Zelle. Er musste sich den widerlichen Fraß ertasten und ihn angeekelt in der Finsternis verspeisen, um nicht zu verhungern. Irgendwann hatte der junge Zauberer jedes Gefühl für Raum und Zeit verloren und sehnte sich fast schon danach, von den Dämonen gefoltert zu werden, um eine Abwechslung zu erleben, die ihm zeigte, dass er und andere Lebewesen überhaupt noch existierten. Jede Hoffnung zu entkommen hatte er längst aufgegeben und er befürchtete, jeden Augenblick endgültig sein Bewusstsein und seinen Verstand zu verlieren. Schließlich wünschte er sich nur noch den Tod, um von seinem unsagbaren Leid erlöst zu werden. Er fand jedoch nicht mehr die Kraft, sich etwa mit seinen Ketten oder durch ein Zertrümmern seines Schädels an den Steinwänden selbst zu richten. Vielmehr wurde er doch immer wieder von einem dumpfen unbewussten Lebenstrieb dazu gedrängt, wie ein Tier zu überleben und ekelhafte Speisen zu sich zu nehmen.
Irgendwann wurde Adebar plötzlich aus dem Halbschlaf gerissen, als sich die Tür der Zelle öffnete. „Hier ist noch einer“, zischte eine bösartige Stimme. „Den nehme ich mir vor!“ Dann verspürte Adebar harte Stockhiebe. Es fiel etwas Licht in den Raum, sodass seine Augen sich langsam daran gewöhnten, bis er sehen konnte, wer da eingetreten war und auf ihn einschlug. Bald erkannte er einen großen widerlichen Schlangenkopf über sich und wusste, dass er einem ganz besonders entarteten und bösartigen Angehörigen des Wilden Volkes ausgeliefert war. „Erst klopf ich dich zurecht“, zischte der Schlangenmensch, „und breche dir alle Knochen im Leib! Dann schlag ich dir meine Zähne in den Hals und pumpe mein Gift in dich rein, um dich zu lähmen und bei lebendigem Leibe genüsslich zu verschlingen!“ Adebar hatte keine Kraft, auch nur an den Einsatz irgendeiner Zauberei zu denken. Er konnte nur verzweifelt die Arme vor das Gesicht und den Körper halten, als die harten Schläge auf ihn niedergingen. Der Schlangenmensch war einen Kopf größer als Adebar und mit geradezu stählernen Muskeln ausgestattet, sodass er dem Opfer jederzeit den Todesstoß versetzen konnte. Der Hybride wollte sich jedoch noch etwas an dem Leiden des jungen Gefangenen erfreuen und sein grausames Spiel mit ihm treiben, bevor er lustvoll tötete. Plötzlich waren laute Schreie und wilde Kampfgeräusche aus dem angrenzenden Gang zu hören und der Schlangenmensch wendete sich um. In diesem Augenblick zischte eine Schwertklinge durch die Luft und trennte blitzschnell den ekelhaften Schlangenkopf von seinen Schultern. Der Kopf fiel krachend zu Boden und sein mächtiger Körper folgte ihm, während der Schwertmeister Felarion mit von Schlangenblut benetztem wütenden Gesicht in die Zelle hineinschaute. „Der Junge ist hier!“, konnte Adebar ihn wie aus weiter Ferne rufen hören. Dann sank er wieder in bodenlose Schwärze hinab.
Der alte Zauberer Tyrbalt hatte tagelang in seiner Zelle meditiert und seine magischen Kräfte gesammelt. Schließlich konnte er wahrnehmen, dass der Schwarzmagier Alazar und der mächtige Dämon Argrath sich mitsamt dem Dämonenauge von ihrer dunklen Festung im Wüsten Land entfernt hatten. Tyrbalt sah den richtigen Zeitpunkt gekommen, um sich zu befreien und die Gefährten zu suchen. Er wirkte zauberisch auf seine Ketten ein und öffnete diese ebenso wie die Zellentür. In einer nahe gelegenen Zelle fand er den Schwarzmagier Pandorax. Dessen Gefängnis war mit einem besonderen schwarzmagischen Bann belegt, sodass er sich nicht selbst befreien konnte. Denn Alazar kannte seinen alten Erzfeind und wollte ihn keinesfalls entkommen lassen, bis er sich ihm nach wichtigeren Angelegenheiten ausführlich würde zuwenden können. Deshalb konnte Pandorax nicht allein aus der Zelle fliehen. Alazar und seine Schergen hatten jedoch die Fähigkeiten des Tyrbalt weit unterschätzt und bei ihm weniger Vorsicht walten lassen. Er löste den Zauberbann, öffnete die Tür und befreite Pandorax von seinen Ketten. Daraufhin schritten die beiden Magier zunächst durch einige leere Kerkergänge, bis sie in einem anderen Bereich bald Anzeichen der weiteren Gefährten entdeckten. Dort zog gerade eine Horde von hybriden Schlangenmenschen umher und suchte in den Zellen nach Opfern, die sie grausam quälen und verschlingen wollten. Tyrbalt und Pandorax fanden und befreiten nach und nach die anderen Gefährten und gemeinsam kämpften sie sich ihren Weg durch die Gänge, indem sie Dutzende von Schlangenkriegern abschlachteten. Das spritzende giftgrüne Blut, die abgetrennten widerlichen Schlangenköpfe und die unzähligen zerfetzten und zerhackten Gliedmaßen der Unwesen klebten bald überall an den Wänden und bedeckten haufenweise den Boden der Gänge. Zuletzt erreichten sie auch die Zelle, in der Adebar sieben Wochen lang gefangen war, und konnten ihn in letzter Sekunde retten.
„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Felarion, der das giftgrüne Schlangenblut von seinen Schwertern abwischte. „Wir sind immer noch tief unter der Erdoberfläche und über uns sind noch Abertausende von Feinden.“ „Dann können wir uns vielleicht noch ein paar Stunden mit ihnen vergnügen, bis wir draußen sind“, höhnte der Dämon Ulangarth, während er einen letzten zuckenden Schlangenkopf mit seinen schlanken silbernen Fingern zerquetschte und die toten Überreste beiseite warf. Tyrbalt und Zayandra versorgten indessen mit ihrer Magie die gefährlichsten Wunden des bewusstlosen Adebar. „Er wird durchkommen“, sagte die Waldzauberin. „Er hat ein paar schlimme Knochenbrüche, Fleischwunden und schwere Prellungen davongetragen. Und außerdem ist er fast verhungert und verdurstet. Aber die zauberischen Heilkräfte wirken sehr schnell bei ihm. Jetzt muss er nur noch ausschlafen und in den nächsten Tagen wieder richtig essen und trinken.“ „So ist es“, bestätigte Tyrbalt nickend. „Für ihn war die Gefangenschaft sicherlich am schwersten zu ertragen. Aber er wird sich erholen.“ „Vorausgesetzt“, sagte Felarion, „dass wir hier irgendwie herauskommen, wenn ich an unsere nicht ganz vorteilhafte Lage erinnern darf. Wie stellt ihr euch das vor?“ „Nur Geduld, Schwertmeister“, sprach Pandorax. „Du wirst es gleich sehen. Wir brauchen uns nicht stundenlang wie verrückt durch die Legionen des Wüsten Landes zu kämpfen. Auch wenn es unseren dämonischen Freund hier vielleicht danach gelüstet, wäre das selbst für ihn etwas zu viel, zumal auch einige seiner freundlichen Artgenossen dort oben lauern. Wir brauchen kein weiteres barbarisches Gemetzel. Jedenfalls nicht heute.“ Daraufhin nahm der Schwarzmagier eine meditative Haltung ein, wisperte einen Zauberspruch und formte mit seinen Händen zunächst kleinere und dann immer größer werdende Kreise in der Luft. Silbern und violett leuchtende Wirbel entstanden, als Pandorax einen magischen Tunnel öffnete. Der Durchgang hatte gerade die richtige Größe für einen Mensch erreicht, als in den Folterverliesen das wilde Heranstürmen unzähliger weiterer Feinde zu vernehmen war. „Schreitet hindurch!“, rief Pandorax und die Gefährten setzten sich in Bewegung. Tyrbalt und Felarion betraten mit dem ohnmächtigen Adebar im Schlepptau den Tunnel. Dann folgten Zayandra und Ulangarth, bevor Pandorax selbst hindurch huschte. Der magische Tunnel schloss sich wieder und im selben Moment, als die Öffnung verschwand, prallten an ihrer Stelle stählerne Krallen und spitze Fangzähne aufeinander.
19. Kapitel: Im Zauberspiegel
Nach der Machtergreifung durch Alazar in Atlantis und meiner Vermählung mit Andron verbrachte ich die meiste Zeit in meinen Privatgemächern. Dort wurde ich von zwei Kammerzofen betreut, während ständig mehrere Soldaten an den Türen und auf den Gängen vor meinen Räumen Wache standen. Diese Zeiten der Einsamkeit wurden nur von den gelegentlichen Sitzungen des Königlichen Rats unterbrochen, bei denen hoheitliche Beschlüsse gefasst wurden, die jedoch allesamt von Stadthalter Andron oder anderen Vertretern von Alazar vorgegeben wurden. Einige der Ratsmitglieder, drunter Hofmarschall Kadrox, störten sich kaum an den neuen Machtstrukturen und den Anweisungen zum Schaden der Bevölkerung. Sie gingen ihren Aufgaben sogar noch eifriger als früher nach, um sich ihren neuen Herrschern anzudienen. Offenbar hofften sie darauf, bevorzugt zu werden und sich angesichts der neuen Verhältnissen persönliche Vorteile zu verschaffen. Wenn ich das ganze Ausmaß der Unterdrückung und der Gräueltaten in der Stadt auch nicht selbst beobachtete, so erfuhr ich doch einiges bei den Ratssitzungen und bei weiteren Kontakten mit den Hofbeamten oder der Dienerschaft. Deshalb konnte ich erahnen, welche Schrecken das Volk von Atlantis erleiden musste und verspürte von Tag zu Tag immer größere Verzweiflung.
* * *
Mein allmächtiger Meister Alazar betrachtete seine Herrschaft über Atlantis und seinen weiteren geplanten Kriegszug über die sterbende Erde lediglich als eine kurze Zwischenstufe und einen kleinen Vorgeschmack auf seine kommende Allmacht über das gesamte Multiversum durch das Dämonenauge. Deshalb gab es für mich auch keinerlei Notwendigkeit, meine Ehe mit der Königin körperlich zu vollziehen, um die machtpolitische Verbindung durch die Zeugung eines gemeinsamen Erben zu festigen und für die Zukunft zu sichern. Ich beachtete Sydyana kaum und begegnete ihr nur gelegentlich im Königlichen Rat oder zum Zwecke anderer politischer Angelegenheiten, da ich als Stadthalter wichtigeres zu tun hatte. Mein Hauptquartier ließ ich in einem Flügel des Palastes einrichten, dessen Säle bereits zuvor der militärischen Planung und geheimen Strategieentwicklung dienten. Dort residierte ich zusammen mit Oborion und weiteren hochrangigen Gefolgsleuten meines allmächtigen Meisters, um die Herrschaft über das Reich mit eiserner Faust auszuüben und den weiteren Feldzug in alle anderen Weltgegenden effektiv vorzubereiten. Denn wir wollten eine Armee von ungeheurer Schlagkraft aussenden und alle Länder der Erde in einem großartigen Siegesrausch unterwerfen.
* * *
Das Anwesen des Pandorax lag in einem versteckten Tal an einem dunklen See irgendwo in den nördlichen Weiten von Atlantis. Der magische Tunnel öffnete sich davor und die erschöpften Gefährten traten heraus in eine kalte Winternacht. Sie begaben sich in das verschneite Gebäude, um zunächst ihre Wunden zu versorgen, sich zu erfrischen und sich von ihrer wochenlangen Gefangenschaft im Wüsten Land zu erholen. Adebar erwachte irgendwann in einem Schlafgemach und war dank der Heilzauber von Tyrbalt und Zayandra bald wieder genesen. Später saßen sie zusammen im Turmgemach und der Schwarzmagier enthüllte einen magischen Spiegel, um Erkundigungen aus Atlantium einzuholen. „Wird dies nicht genauso enden wie mit den Untoten auf dem Friedhof?“, fragte Felarion misstrauisch, als er sich an den Einsatz der Kristallkugel und die dramatischen Folgen erinnerte. „Diesmal habe ich besser vorgesorgt“, versicherte Pandorax. „Mein Anwesen ist mit einem starken Zauber vor Entdeckung geschützt. Außerdem werden wir nur einen vorsichtigen Blick auf die Hauptstadt werfen. Dabei dient uns ein Rabe als weiterreichende Augen und Ohren.“ Der Schwarzmagier erweckte den magischen Spiegel mit einem Wink zum Leben und die Gefährten schauten neugierig hinein. Sie sahen zuerst die schneebedeckte Landschaft vor Atlantium von oben aus der Sicht eines Raben, der darüber hinweg flog. Dort hatten die grauenhaften Truppen des Alazar riesige Feldlager aufgeschlagen. Dann erblickten sie die Mauern, die Dächer und die Straßen der Hauptstadt durch die Augen des Vogels. Dabei mussten sie erkennen, dass viele der alten Häuser abgerissen und abgebrannt worden waren und in Schutt und Asche lagen. Außerdem hatte man an ihrer Stelle vielerorts Heereslager und Militärgebäude sowie große dunkle Werkhallen errichtet. Überall vor den Hallen und an den Straßen brannten Feuer und aus den Schornsteinen der Gebäude stieg dichter schwarzer Rauch in die trübe Luft auf. Dämonen und Soldaten des Wilden Volkes trieben die Menschen mit langen Speeren und knallenden Peitschen brutal zur Arbeit an. Diese bestand im Wesentlichen darin, alle möglichen Arten von Waffen und Werkzeugen aus Metall zu schmieden und auf Wagen zwischen den Fertigungsstätten und Lagerhallen hin und her zu transportieren. „Offensichtlich ist das Reich bereits erobert“, sagte Felarion finster. „Atlantium ist völlig in der Hand von Alazar und seinen Unwesen. Wie konnten die Menschen sich so schändlich besiegen und versklaven lassen?“ „Die Stadt sieht ganz anders aus als früher“, bemerkte Adebar. „Wie konnte man Atlantium so schnell völlig umgestalten?“ „Unser Weg durch den magischen Tunnel“, erklärte Pandorax, „hat für uns nur wenige Augenblicke gedauert. In Atlantis sind indessen jedoch, meiner Einschätzung nach, ungefähr drei Monate verstrichen.“ „Vermutlich hat der Königliche Rat sich den Feinden unterworfen“, sagte Tyrbalt. „Jedenfalls sind die überlebenden Atlantier offenbar immer noch menschlich und bisher nicht zu Untoten gemacht worden.“ „Ihr Dasein als Sklaven hat aber kaum mehr einen Wert“, sagte Zayandra. „Sie sind den Schergen Alazars völlig wehrlos ausgeliefert. Er wird das Volk bei der Arbeit und im Krieg verheizen. Wenn er die Menschen nicht mehr braucht, wird er sie freudig ausrotten.“ „Ich denke“, sagte Pandorax, „Alazar kann noch nicht über die ganze Macht des Dämonenauges verfügen. Er wird seine schwarzmagischen Kräfte darauf konzentrieren, die Allmacht des Dämonenauges endgültig zu erlangen. Inzwischen lässt er allerlei Waffen anfertigen und spannt die Atlantier für sich ein, um den Kriegszug über die ganze Welt weiter fortzusetzen.“ „Dann sind Atlantis und die Welt verloren“, sagte Felarion. „Diesen Unhold kann nichts mehr aufhalten.“ „Das einzige, was ihn aufhalten könnte“, sagte Ulangarth, „wäre die Entwendung des Dämonenauges.“ „Doch wie soll das gelingen?“, fragte Zayandra. „Im Wüsten Land konnten wir Alazar nichts anhaben und er hielt es nicht einmal für nötig, uns als seine Gefangenen zu besuchen und zu vernichten.“ „Inzwischen wird er von unserer Flucht erfahren haben“, sagte Pandorax. „Zwar sind wir hier für einige Tage sicher, aber dann wird der Unhold uns garantiert aufspüren. Wenn er uns noch einmal erwischt, wird er kurzen Prozess mit uns machen. Wir brauchen also einen neuen Plan, wie wir ihm das Dämonenauge abjagen!“ Der Rabe flog weiter über Atlantium hinweg und die Gefährten beobachteten im magischen Spiegel, dass dort an mehreren Stellen riesige menschliche Leichenberge angehäuft wurden. Dorthin mussten Sklaven die Leichen anderer Menschen mit Schubkarren bringen, die etwa bei der Arbeit zusammengebrochen oder wegen Fehlern oder Schwächen von ihren grausamen Aufsehern und Antreibern getötet worden waren. Unwesen bedienten sich von diesen Leichenbergen für ihre blutrünstigen Mahlzeiten oder aber die Leiber wurden in den Werkhallen als Brennmaterial verfeuert, um die großen Schmiedefeuer und Schmelzöfen anzuheizen. Viele Leichen wurden auch einfach zum Verwesen liegen gelassen, wenn die Truppen des Alazar gerade keine bessere Verwendung für sie hatten, sodass ständig ein beißender Gestank des Todes und des Bösen über der ganzen Stadt lag. Als der Rabe über den Palast von Atlantis flog, sahen die Gefährten, dass dort auf dem Vorplatz, an den Toren und auf allen Mauern Abertausende von menschlichen Totenschädeln aufgestellt waren, die auf langen Metallspießen steckten. Dutzende von Dämonen eilten dort umher, stellten weitere blanke Totenschädel auf oder gingen andern Tätigkeiten nach. Einige waren damit beschäftigt, Menschen sadistisch zu foltern und ihnen dabei auf grauenhafte Weise die Lebensenergie auszusaugen, sodass von ihren Körpern nach einem langsamen und schmerzhaften Tod nur völlig entstellte und verkohlte Massen aus Fleisch und Knochen zurückblieben. Der Rabe kreiste eine Weile über dem Palast, bis ein Dämon, der gerade einem schreienden Menschen bei lebendigem Leib die Haut abzog, plötzlich zu ihm aufblickte und böse zischte. Daraufhin wollte der Vogel das Weite suchen, doch ein stählerner Pfeil flog blitzschnell auf ihn zu. Der Rabe wurde getroffen, stürzte hinab und schloss seine Augen. Das Bild im Zauberspiegel wurde schwarz.
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